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Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
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dann bleibt er einfach still stehen und lässt die roten, wunden Hände hängen.
    »Seit gestern früh hat sie weder gegessen noch getrunken.« Er wiegt langsam den Kopf, so als würde er sich etwas überlegen. »Ich fürchte, sie könnte aufhören zu kämpfen.«
    Ich presse die Lippen aufeinander, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Ob es meine Schuld war, dass sie krank geworden ist? Schließlich ist sie im Schneesturm zu mir ans Flussufer gekommen. Ich finde es schrecklich, dass ich sie nicht gesund machen kann. Ich hasse dieses Gefühl, so nutzlos zu sein.
    Ich trete gegen dieWand, meine vom Schnee tauben Zehen spüren den Schmerz kaum. Elias schaut zu mir hoch, sieht die bunte neue Mütze, die ich mir tief ins Gesicht gezogen habe, um die heilendenWunden zu verbergen.
    Er kneift die Augen zusammen, zieht die Stirn kraus. Diesen Blick kenne ich. So hat er mich auch angesehen, als die Narben vom Stacheldraht verheilten. Er hat das Gefühl, als mein Beschützer versagt zu haben . A ls wäre das seine Schuld. Und als würde sich das nun alles wiederholen mit mir und meiner Schwester.
    Wenn ich daran denke, wie sehr ich darum kämpfe, sie am Leben zu erhalten, verstehe ich, wie anstrengend das Leben für Elias gewesen sein muss, ehe er mich verlassen hat – es ist eine Last, sich immer um die zu sorgen, die einem am Herzen liegen. Und ich weiß nicht, wie lange ich noch mit meiner jetzigen Kraft weiterkämpfen kann, wenn es immer so aussieht, als würde ich verlieren. Ich setze mich auf die Mauer und lasse die Beine ins Nichts baumeln. »Denkst du nicht auch manchmal, dass es dieToten sein könnten, die das Happy End bekommen?«
    Er überlegt mit schräg gelegtem Kopf, dann setzt er sich neben mich. »Wie meinst du das?«
    Ich zucke mit den Schultern. »Na, die müssen sich doch nicht ums Überleben sorgen.«
    »Aber sie sind tot.«
    »Jaja. Das bedeutet, sie müssen sich an nichts erinnern.«
    Elias schüttelt den Kopf. »Das bedeutet, sie können nie mehr lieben.«
    Ich schnaube verächtlich. »Aber sie kennen keinenVerlust.«
    Nachdenklich schaut er zur Dunklen Stadt hinüber. »Glaubst du, dieToten wissen nicht, was sie verloren haben? Fragst du dich nie, warum sie auf Menschenfleisch aus sind? Vielleicht ist das ja ihre Art, wieder zu glauben, wieder zu leben. Und wenn es auch nur für diesen einen Moment ist, in dem ihnen das frische Blut in den Mund spritzt?«
    Ich schaudere. »Ich glaube, sie wissen nicht, was ihnen fehlt«, sage ich. »Sie müssen sich keine Sorgen um die Menschen machen, die sie lieben, und darum, was morgen mit ihnen passiert und amTag darauf.«
    Elias wirkt verwirrt. »Aber so ist das doch, wenn man lebendig ist. Wir machen Fehler. Wir lieben und verlieren. Das ist das Leben.«
    Ich denke daran, was ich gefühlt habe, als der R ekruter an meinen Haaren gezerrt und mich fast über die Mauer geschleift hat – und an das Grauen, dass Catcher nicht zurückkommen könnte, oder dass wir trotzdem für immer auf dieser Insel festsitzen könnten – wie lange das auch sein mag. »Meinst du nicht, es wäre einfacher ohne all das?«
    Elias antwortet nicht sofort. Er klettert von der Mauer, geht auf meine Zeichnung von Catcher zu und betrachtet sie. Dabei legt er die Hand in den Nacken, und jetzt erinnert mich diese Geste an Catcher. »Denkst du je an die letzte Nacht, bevor ich mich den R ekrutern angeschlossen habe?«
    Er steht mit dem R ücken zu mir, ich kann sein Gesicht nicht sehen, und plötzlich fühle ich mich ein bisschen unsicher bei diesem Gespräch. »Wie meinst du das?«, frage ich schließlich.
    Er zögert. »Die Nacht, in der du und ich …« Er wedelt mit der Hand, als könnte er unmöglich dasWort »küssen« aussprechen.
    Ich schlucke, mir ist unbehaglich. »Ja.« Meine Antwort kommt mir so forsch vor. »Kann sein.«
    Er dreht sich zu mir um, seine Augen strahlen so hell. Ich hatte vergessen, wie blau sie sind. »Würdest du das missen wollen?«
    MeineWangen glühen, ich atme keuchend. »Was?« Ich verstehe nicht, was das damit zu tun haben soll. Ich springe von der Mauer und will auf die Tür zugehen, aber Elias stellt sich mir in denWeg.
    »Hat es wehgetan?«, fragt er und kommt näher. »Als ich am nächstenTag weggegangen bin?«
    Ich brauche Platz, damit ich einen klaren Kopf bekomme und meine Gedanken ordnen kann, die nicht aufhören wollen herumzuwirbeln. Ich weiche zurück, bis es nicht weitergeht. »Nein. Ja. Kann sein. Vielleicht hat es später wehgetan.«
    Er

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