Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Ryan
Vom Netzwerk:
auf das, was mal sein Gesicht war, dann klettere ich aufs Dach desVerschlages, wo ein Stück knallroter Stoff um das Ende eines langen Pfahles gewickelt ist. Ich hebe es hoch und entrolle den Wimpel in der eisigen Morgenbrise.
    Er strafft sich, flattert im Wind und teilt jedem in der Dunklen Stadt mit, dass die Zeit für den Abflug jetzt gekommen ist. Es ist so weit. Eine Leichtigkeit erfasst mich, es ist wie ein Rausch, ich könnte vor Freude platzen. Der Stoffballon beginnt aufzusteigen. Elias wirft mehr Holz aufs Feuer. Lange wird es nicht mehr dauern, bis wir davongetragen werden, bis wir frei sind.
    Da höre ich die R ufe. Ich springe zurück aufs Dach und sprinte zur Brüstung. Ein R ekruter steht vor dem Hauptquartier und zeigt zu uns hoch . A ls der Ballon hinter mir höher aufsteigt, dreht der Mann sich um und läuft wieder hinein.Wenig später rennt eine Gruppe R ekruter auf unser Gebäude zu.
    »Schnell!«, rufe ich Elias zu. »Sie kommen.«
    Meine Schwester wird blass, sie und Elias fächeln mit aller Kraft Rauch in den Sack. Der erhebt sich zwar vom Boden, doch um den Korb und unserer Gewicht zu tragen, reicht es nicht.
    »Sie sind unten an der Tür«, brülle ich.
    »Er wird sich nicht rechtzeitig füllen«, murmelt Elias vor sich hin. Meine Schwester stößt ihn mit dem Ellenbogen an, er soll den Mund halten.
    Ich schaue mich auf dem Dach um und suche irgendetwas, das uns Aufschub verschafft. Den Stoff haben wir mit geschmolzenem Fett bestrichen, davon ist noch ein Kessel übrig und ein paar Kanister Lampenöl. Beides schnappe ich mir und zerre es insTreppenhaus.
    Mitten auf dem Dach füllt sich der Sack, die Nähte spannen, und der Korb hebt sich schon ein wenig. Ich höre die R ufe der R ekruter, die dieTreppe hochstürmen. Die Zeit wird knapp.
    Eilig raffe ich sämtliche Stoffbahnen und das Holz zusammen, das wir nicht mehr brauchen, werfe alles ins Treppenhaus und zünde den Ölkanister an, den ich hinterherschleudere. Es gibt eine Erschütterung, mit einem Rauschen entzündet sich das Öl, und das Feuer verteilt sich über Stufen und Wände. Ich knalle die Tür zu.
    »Vermutlich hattest du nicht vor, dieTreppe zu nehmen, falls das hier nicht klappt«, sagt Elias, der meine Schwester in den Kasten hebt. Sie beginnt das Feuer im Kessel zu schüren.
    »Es wird nicht lange brennen«, erwidere ich. Irgendetwas knackt, ein hohes Sausen ist zu hören, unter uns explodiert ein Fenster. Es ist mir unangenehm, wenn ich an die furchtbareVerschwendung dieser Zerstörung denke.
    »Los geht’s.« Elias hält mir die Hand hin. Ich lasse mir von ihm in den Kasten helfen, und der Ballon hebt uns mit einem R uck vom Dach.
    Zuerst schleift der Ballon noch über die Dachfläche, dann löst er sich, schwebt und zieht uns hinauf. In diesem Moment fliegt die Tür zumTreppenhaus krachend auf, Flammen schlagen heraus. Männer in schwarzen Uniformen verfolgen uns am Boden, aber wir steigen immer höher auf, und ihr Lärm verhallt im Wind. Elias steuert uns auf den Fluss zu, er versucht, den Luftraum über dem Inneren Bereich zu verlassen, weil die R ekruter jetzt nach ihren Armbrüsten greifen.
    Während der ersten paar Herzschläge in der Luft rebelliert mein Körper, wünscht sich verzweifelt, festen Boden zu spüren. Indessen ruckt und schaukelt der kleine Kasten. Luft weht an meinen Beinen hinauf, dieses Gefühl ist völlig falsch – widernatürlich.
    UnsereVerfolger werden kleiner, die Gebäude unten wirken immer weniger imposant. Ich halte die Luft an, habe schreckliche Angst, dass die kleinste Bewegung den Ballon außer Kontrolle bringen könnte, dass die Nähte platzen und wir in den sicherenTod stürzen.
    »Wir fliegen!«, ruft Elias beinahe ungläubig. Der Wind zaust sein kurzes Haar. Er streckt die Arme aus wie Flügel, und ich klammere mich an die Kante unseres kleinen Luftschiffs und warte darauf, dass es auseinanderreißt.
    Doch das tut es nicht. Der Ballon steigt immer höher, der Propeller steuert uns über den Fluss hinaus und weg vom Inneren Bereich. Indessen steigen andere Ballons aus der Dunklen Stadt auf – zuerst nur ein oder zwei, dann immer mehr. Sie haben verschiedene Farben, verschiedene Größen, aber sie steigen alle auf und tragen die Überlebenden fort aus den vonTod verstopften Straßen.
    Wir haben es geschafft. Ich fühle mich leicht – leichter als Luft, als ob ich allein uns alle in den bemalten Morgenhimmel hinaufziehen würde.

41
    D ie Sonne steigt gerade über den Horizont, der

Weitere Kostenlose Bücher