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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Besźel und Ul Qoma. Bei komplexerem Sachverhalt als dem der akuten und offensichtlichen Grenzbrüche unterschiedlicher Art - Verbrechen, Verkehrsdelikt oder Unglück (Chemieunfall, Gasexplosion, ein geistesgestörter Amokläufer, der über die Stadtgrenze hinweg mordete) - unterzog der Ausschuss alle ihm vorgelegten Fälle einer sorgfältigen Prüfung, denn zwangsläufig entäußerte man sich bei einer Weiterleitung an Ahndung aller eigenen Autorität.
    Selbst nach den akuten Fällen von Grenzbruch, die über jeden vernünftigen Zweifel erhaben waren, kamen die Mitglieder des Ausschusses zusammen, um nachträglich die Umstände des Eingreifens von Ahndung zu diskutieren und abzuwägen. Theoretisch konnten sie nachträglich jede der Aktionen in Frage stellen, auch wenn es absurd gewesen wäre, das zu tun. Dennoch hielt man an diesem Ritual fest, denn es demonstrierte nach innen wie außen, dass man nicht gewillt war, sich das Heft aus der Hand nehmen zu lassen.
    Die beiden Städte brauchten Ahndung. Und ohne die Integrität der Städte, was wäre Ahndung?
    Corwi erwartete mich. »Und?« Sie reichte mir einen Becher Kaffee. »Was haben sie gesagt?«
    »Tja, sie werden den Fall weiterleiten. Aber sie haben es mir nicht leicht gemacht.« Wir gingen zum Streifenwagen. Alle Straßen um die Kopula waren deckungsgleich, und wir fädelten uns nichtsehend durch einen Pulk junger Leute in Ul Qoma, um zu der Stelle zu gelangen, wo Corwi geparkt hatte. »Du kennst Syedr?«
    »Dieses faschistische Arschloch? Aber ja.«
    »Er hat so getan, als wollte er verhindern, dass der Fall an Ahndung übergeben wird. Verrückt.«
    »Sie hassen Ahndung, oder nicht, die vom NatBlock?«
    »Wie gesagt, verrückt. Als würde man die Luft hassen, die man atmet. Man bedenke, er ist ein Nat und ohne Ahndung kein Besźel. Kein Heimatland.«
    »Schon kompliziert, oder?«, meinte sie. »Wir brauchen Ahndung, aber dass wir es brauchen, ist ein Zeichen von Abhängigkeit. Die Nats sind ohnehin gespalten zwischen den Verfechtern eines Gleichgewichts der Kräfte und den Triumphalisten. Die vertreten die Überzeugung, dass Ahndung Ul Qoma schützt, und zwar vor der Übernahme durch Besźel.«
    »Besźel Ul Qoma übernehmen? Die träumen, wenn sie glauben, dass Besźel gewinnen würde.« Unwillkürlich tauschten wir einen Blick. Wir wussten, so war es. »Was soll's. Nicht wichtig. Er hat ohnehin nur Theater gespielt.«
    »Er ist ein gottverdammter Idiot. Erstens ist er ein Faschist und zweitens nicht besonders helle. Wann kriegen wir das Okay?«
    »In ein oder zwei Tagen, denke ich. Sie werden heute über alle Anträge abstimmen, die ihnen vorgelegt wurden. Nehme ich an.« Ehrlich gesagt wusste ich nichts über das Prozedere.
    »Und in der Zwischenzeit was?« Sie wirkte angespannt.
    »Nun, Sie haben doch bestimmt noch eine Menge andere Arbeit? Der Fall Geary ist sicher nicht Ihr einziger.« Ich schaute sie fragend an, während sie den Wagen startete und losfuhr.
    Wir passierten die Kopula. Das riesige Portal machte den Eindruck einer von Menschenhand geschaffenen profanen Höhle. Das Gebäude ist gewaltig, größer als ein Dom, größer als ein römischer Zirkus. An der Ost- und Westseite ist es offen. Im Erdgeschoss und 25 kuppelartig gewölbte Meter darüber ist es ein Straßentunnel, im Innern ein Wald aus Pfeilern, die Fahrbahnen durch Mauern getrennt. Checkpoints regeln Ein- und Ausfahrt.
    Fußgänger und Fahrzeuge kamen und gingen. Dicht bei uns rollten Personen- und Lieferwagen hinein, warteten am östlichsten Punkt, wo Ausweise und Papiere kontrolliert wurden und der Fahrer die Genehmigung erhielt - manchmal auch nicht - Besźel zu verlassen. Ein ununterbrochener Strom. Weiter durch den Tunnel zwischen den Checkpoints, erneut Warten am Westtor, um nach Ul Qoma hineinzufahren. Der umgekehrte Prozess auf den Gegenfahrbahnen.
    Endlich kamen die Fahrzeuge mit ihren gestempelten Pässen am jeweils entgegengesetzten Ende wieder heraus und fuhren in eine fremde Stadt. Oft kehrten sie auf den deckungsgleichen Straßen der Altstadt/der Altstadt zu dem Punkt zurück, an dem sie zuvor gewesen waren, allerdings in einem neuen Rechtsraum.
    Wenn jemand sich veranlasst sah, aus welchem Grund auch immer, in das Haus neben dem seinen zu gehen, das sich aber in der anderen Stadt befand, lag es an einer anderen Straße, in einem feindlichen Territorium. Das ist, was so gut wie kein Ausländer versteht. Ein Besź kann nicht »eben mal« nach nebenan gehen, wenn dieses

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