Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson
ging zu dem Bild der Stadt, das fast den ganzen Saal ausfüllte. Es fiel nicht schwer, darin tatsächlich ein Modell zu sehen, obwohl er genau wusste, dass es in Wirklichkeit nur die optische Projektion einer Struktur in den eben durchforschten Gedächtniszellen war. Wenn er die Tasten des Monitors bediente und ihn über Diaspar wandern ließ, schwebte ein Lichtpunkt über die Oberfläche dieses Ebenbildes, so dass er genau erkennen konnte, wo er sich jeweils befand. In den ersten Tagen hatte sich das als nützliches Hilfsmittel erwiesen, aber bald beherrschte er das Gerät so sicher, dass er es nicht mehr brauchte.
Die Stadt lag ausgebreitet vor ihm; er starrte auf sie hinunter. Aber er sah sie kaum, als er sich überlegte, wie er jetzt weiter vorgehen sollte.
Wenn alles schiefging, gab es immer noch eine Lösung. Diaspar mochte ewig unveränderlich erhalten werden, für immer entsprechend der Struktur in den Gedächtniszellen erstarrt. Aber diese Struktur konnte verändert werden, und mit ihr die der Stadt. Es musste möglich sein, einen Teil der Außenwand so umzugestalten, dass sie eine Tür ins Freie enthielt, diese Struktur in die Monitoren einzufügen und die Stadt sich an diese neue Konzeption anpassen zu lassen.
Alvin vermutete, dass die Teile des Bedienungspultes, deren Zweck Khedron nicht erklärt hatte, mit solchen Veränderungen zusammenhingen. Es hatte keinen Sinn, mit den Tasten zu experimentieren. Die Regler zur Veränderung der Stadtstruktur waren unzugänglich und konnten nur im Auftrag des Rates und mit Genehmigung des Zentralen Elektronengehirns bedient werden. Es bestand kaum eine Chance, dass ihm der Rat die Erlaubnis erteilen würde.
Er wandte seine Gedanken dem Himmel zu. Manchmal hatte er sich vorgestellt, er habe die Freiheit der Lüfte wiedergewonnen, auf die der Mensch vor so langer Zeit verzichtet hatte. Einst war der Himmel über der Erde mit seltsamen Objekten erfüllt gewesen. Aus dem Weltraum waren die großen Schiffe gekommen, unbekannte Reichtümer mit sich führend, um im legendären Hafen von Diaspar zu landen. Aber der Hafen hatte außerhalb der Stadtgrenzen gelegen; Äonen zuvor war er vom Treibsand verschlungen worden. Er konnte Träumen nachhängen, dass irgendwo in den Labyrinthen Diaspars noch eine Flugmaschine versteckt war, aber er glaubte nicht ernstlich daran. Selbst in den Tagen, als kleine Privatflugzeuge allgemein in Gebrauch gewesen waren, hatte man sie wohl kaum innerhalb der Stadt eingesetzt.
Einen Augenblick verlor er sich in dem alten, vertrauten Raum. Er stellte sich vor, dass er Herr des Himmels sei, dass die Welt zu seinen Füßen läge und ihn aufforderte zu reisen, wohin es ihm beliebte. Das war nicht die Welt seiner eigenen Zeit, die er sah, sondern die vergangene Welt der Frühzeit – ein fruchtbares, lebendes Panorama aus Hügeln, Seen und Wäldern. Er fühlte bitteren Neid auf seine unbekannten Vorfahren, die über die Erde fliegen konnten und ihre Schönheit sterben ließen.
Diese den Verstand verwirrende Träumerei war nutzlos; er zwang sich, in die Gegenwart und zu seinem Pro blem zurückzukehren. Wenn der Himmel unerreichbar und der Landweg versperrt war, was blieb dann noch übrig?
Wieder war er an einem Punkt angelangt, an dem er Hilfe brauchte, da er durch eigene Bemühung keinen weiteren Fortschritt erzielen konnte. Er gab es nicht gerne zu, war aber auf der anderen Seite ehrlich genug, es nicht zu leugnen. Unvermeidlich richteten sich seine Gedanken wieder auf Khedron.
Alvin war sich noch nicht klar darüber, ob er den Spaßmacher mochte. Es gab in Diaspar niemanden, mit dem er so viel gemeinsam hatte, und trotzdem gab es in der Persönlichkeit des anderen ein Element, das ihn abstieß. Vielleicht war es Khedrons ironische Überlegenheit, die Alvin manchmal glauben ließ, er lache heimlich über seine Anstrengungen. Aus diesem Grund und seiner angeborenen Hartnäckigkeit und Unabhängigkeit wegen zögerte Alvin, den Spaßmacher um Hilfe zu bitten; aber schließlich blieb ihm nichts anderes übrig.
Sie verabredeten eine Zusammenkunft in einem kleinen, runden Hof, nicht weit von der Ratshalle. Es gab in der Stadt viele abgelegene Plätze, oft nur wenige Meter von einer Hauptverkehrsstraße entfernt, aber doch völlig in sich abgeschlossen. Gewöhnlich konnte man sie nur zu Fuß und über allerlei Umwege erreichen; manchmal lagen sie sogar im Mittelpunkt geschickt entworfener Irrgärten. Es war eigentlich typisch für Khedron, dass er
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