Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson
ob man sich deiner als Schöpfer oder als Zerstörer erinnert oder ob man sich überhaupt an dich erinnert.
Leb wohl, Alvin. Ich wollte dir eigentlich einige Ratschläge geben, aber ich glaube nicht, dass du sie annehmen würdest. Du wirst deinen eigenen Weg gehen, wie du es immer getan hast, und deine Freunde werden dir Werkzeug sein, das du nach Bedarf gebrauchst oder wegwirfst.
Das ist alles. Ich wüsste nicht, was es noch zu sagen gäbe.«
Einen Augenblick lang sah Khedron – der Khedron, den es nicht mehr gab, außer als Struktur elektrischer Impulse in den Gedächtniszellen der Stadt – Alvin resigniert und voller Trauer an. Dann war der Bildschirm leer.
Alvin saß lange Zeit regungslos da. Er hatte Khedron nie besonders gerngehabt; die Persönlichkeit des Spaß machers verhinderte jede enge Bindung, selbst wenn Alvin sie gewünscht hätte. Aber bei dem Gedanken an seine Abschiedsworte überfiel ihn Reue. Seinetwegen war der Spaßmacher in die unbekannte Zukunft geflüchtet.
Aber eigentlich brauchte er sich doch deswegen nicht schuldig zu fühlen, dachte Alvin. Es bewies nur, was er bereits gewusst hatte – dass Khedron ein Feigling war. Vielleicht kein größerer Feigling als alle anderen Menschen in Diaspar auch; dafür aber besaß er das zusätzliche Missgeschick einer gewaltigen Fantasie. Alvin trug einen Teil der Verantwortung für sein Schicksal, aber keineswegs die gesamte Schuld.
Wen hatte er in Diaspar sonst gekränkt oder verletzt? Er dachte an Jeserac, seinen Lehrer, der seinem schwierigsten Schüler gegenüber unendliche Geduld bewiesen hatte. Er dachte an die vielen kleinen Freundlichkeiten seiner Eltern; jetzt, im Rückblick, waren es mehr, als er geglaubt hatte.
Und er dachte an Alystra. Sie hatte ihn geliebt, und er hatte diese Liebe akzeptiert oder übersehen, wie es ihm gerade gefiel. Aber was hätte er anderes tun sollen? Wäre sie glücklicher gewesen, wenn er sie verächtlich abgewiesen hätte?
Er begriff jetzt, warum er Alystra nie geliebt hatte, oder eine andere der Frauen von Diaspar. Diaspar hatte vieles vergessen, auch die wahre Bedeutung der Liebe. In Airlee hatte er den Müttern zugesehen, wie sie ihre Kinder auf den Knien schaukelten, und selbst für alle kleinen und hilflosen Wesen diese schützende Zärtlichkeit gespürt, die uneigennützige Zwillingsschwester der Liebe. Aber in Diaspar gab es keine Frau, die von dem letzten Ziel der Liebe, das es einst gegeben hatte, etwas wusste oder danach strebte.
In der unsterblichen Stadt gab es keine wirklichen Gefühle, keine tiefen Leidenschaften. Vielleicht gediehen solche Dinge nur, wenn sie nicht ewig dauern konnten, weil sie immer unter jenem Schatten standen, den Diaspar verbannt hatte.
Das war der Augenblick, wenn es einen solchen überhaupt gab, in dem Alvin begriff, worin seine Bestimmung lag. Bis jetzt war er unbewusst der Handlanger seiner inneren Regungen gewesen. Wäre ihm ein solch archaisches Bild in den Sinn gekommen, hätte er sich vielleicht mit dem Reiter eines ungezähmten Pferdes verglichen – es hatte ihn an viele seltsame Orte geführt, und würde es vielleicht auch noch einmal tun, doch vor allem hatte es ihm durch sein wildes Galoppieren gezeigt, welche Kräfte in ihm steckten. Und ihn gelehrt, wohin er eigentlich gehen wollte.
Alvins Träumerei wurde roh von dem Glockenton des Wandschirms unterbrochen. Der Klang verriet ihm sofort, dass es nicht nur ein Ruf war, sondern dass jemand erschienen war, um ihn persönlich zu sprechen. Er gab das Eintrittssignal; einen Augenblick später stand Jeserac vor ihm.
Sein Lehrer sah ihn ernst, aber nicht unfreundlich an.
»Man hat mich gebeten, dich zum Rat zu begleiten, Alvin«, sagte er. »Er wartet auf dich.« Dann bemerkte Jeserac den Roboter und betrachtete ihn neugierig. »Das ist also der Begleiter, den du von deinen Reisen mitgebracht hast. Es ist am besten, wenn er mit uns kommt.«
Das passte Alvin sehr gut. Der Roboter hatte ihn bereits einmal aus einer gefährlichen Situation gerettet; vielleicht konnte er ihm noch einmal nützlich sein. Er fragte sich, was diese Maschine über die Abenteuer und Wechselfälle dachte, in die sie verwickelt worden war, und wünschte sich zum zehntausendsten Mal, verstehen zu können, was in ihr vorging. Alvin gewann den Eindruck, dass der Roboter beschlossen hatte, zu beobachten, zu prüfen und seine eigenen Schlüsse zu ziehen, aber zunächst einmal selbst nichts zu unternehmen, bis ihm die Zeit reif erschien. Dann
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