Die Stahlkönige
Abends wieder ein.
Mit zusammengebissenen Zähnen richtete er sich langsam auf. Das Bein pulsierte von der Hüfte bis zu den Zehen in gleichmäßigen Wellen, und keuchend beugte er sich vor, um den Oberschenkel zu betrachten. Das Hosenbein saß so stramm wie eine zweite Haut und war schwarz von eingetrocknetem Blut. Er wollte sich das Hemd ausziehen, um den Schnitt an der Seite zu untersuchen, aber es hatte sich ebenfalls mit Blut voll gesogen und klebte an seinem Körper. Schließlich gab er auf.
Stattdessen nahm er sich die Zeit, seine Umgebung zu mustern. Irgendwann während seiner Bewusstlosigkeit war das Floß auf eine Sandbank getrieben und hatte sich seitwärts gedreht. Ein Blick auf die Strömung verriet ihm, dass er sich am Ostufer befand. Wie lange er ohnmächtig gewesen war und welche Strecke er zurückgelegt hatte, wusste er nicht. Der Drang, den Kopf ins Wasser zu tauchen und zu trinken, war übermächtig, aber das war viel zu gefährlich. Er schleppte sich zu einem kleinen Fass hinüber, das die Flößer an einem klaren Nebenfluss gefüllt hatten. Zuerst trank er eine Schöpfkelle mit Wasser leer, dann schüttete er sich Wasser über Kopf und Körper. Sogleich fühlte er sich viel besser und trank noch einmal. Erst als sich sein Magen zusammenkrampfte, hörte er auf.
Kairn kroch zum Pferch hinüber und zog sich an den Stangen in die Höhe. Sein Cabo, das wohlauf und unverletzt war, kam auf ihn zu. Es schnaubte vergnügt und schnüffelte an seiner Hand. Er sah, dass es noch genügend Futter, aber kein Wasser mehr hatte. Kairn stützte sich auf seinen Speer und führte das Tier aus dem Pferch. Mit einer Hand am Halfter führte er es zum Rand des Floßes und ließ es aus dem Fluss trinken. Anschließend brachte er es in die Umzäunung zurück und legte ihm den Sattel auf. Die Anstrengung ließ die Wunden aufbrechen, aber inzwischen war das Blut das Geringste, worüber er sich sorgen sollte.
Als alles gepackt war, führte er das Tier an Land. Mit einer Hand am Sattel ließ er sich auf den Damm ziehen. Oben angekommen, sah er sich um. Unter ihm lag eine weite Ebene mit dichtem Baumbestand. Ein schmaler Pfad verlief neben dem Damm. Mit zusammengebissenen Zähnen kletterte er in den Sattel.
Das Schwingen des verletzten Beines über den Sattel war die schmerzlichste Erfahrung seines jungen Lebens. Er war leichenblass und trotz des Fröstelns lief ihm der Schweiß in Strömen den Rücken hinab. Geraume Zeit blieb er still sitzen, um sich einigermaßen zu erholen. Nie zuvor war er so krank gewesen. Ehe er das Cabo den Abhang hinuntertrieb, band er sich die Zügel um die Handgelenke. Falls er vom Cabo fiel, wollte er nicht, dass es auf Nimmerwiedersehen verschwand.
Er lenkte das Cabo auf den Pfad und ritt in südlicher Richtung. Zum Leben eines Kriegers gehörte mehr als das Tragen von Waffen und stolzes Gebaren. Das wirkliche Leben erwies sich als. ebenso schrecklich wie das Dasein eines armseligen Bauern, und sein Elend wurde noch verschlimmert, weil er völlig allein war. Um sich abzulenken, dachte er an etwas anderes. Wie viele Gegner hatte er beim Kampf um das Floß besiegt? Er vermutete, dass es sechs oder sieben Männer waren, aber alles war so schnell gegangen, dass er nicht sicher war.
Kairn fragte sich, ob es sich schickte, damit zu prahlen, wenn er in die Heimat zurückkehrte. Sechs Gegner waren eine beachtliche Menge. Leider hatte es sich um einfache Banditen gehandelt und nicht um ehrenwerte Krieger. Andererseits war er schwer, wenn nicht sogar lebensgefährlich verwundet worden, und es war peinlich zuzugeben, dass Banditen ihm so schlimme Verletzungen zugefügt hatten. Er beschloss, die Zahl der Angreifer zu übertreiben.
In Gedanken versunken, hatte er nicht bemerkt, dass sich die Straße vom Damm entfernt hatte und durch den Wald führte. Ein wahrlich trauriger Wald voller Insekten. Pelzige Wesen sprangen von Baum zu Baum oder brachten sich vor den Hufen des Cabos in Sicherheit. Er sah eine Kreatur, die einem Baummännchen ähnelte, aber sie war mannshoch und hatte eine längliche Schnauze. Sie verschwand so schnell im Unterholz, dass er glaubte, einem durch das Fieber hervorgerufenen Trugbild erlegen zu sein.
Kairn wusste, dass er ein Dorf finden musste, wo man seine Wunden versorgte und ihn ausruhen ließ. Er hatte Angst um sein Bein. Noch roch er keinen Wundbrand, aber ohne Hilfe würde er sich bald einstellen. Da ihm nichts anderes übrig blieb, ritt er weiter.
Die Welt rings um ihn
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