Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
wurde. Er war Musiker und Komponist von Beruf, Mitglied der faschistischen Partei seit 1928. Ich verhörte ihn im Unterstand und führte ihn dann zu dem Unterstand, wo die Gefangenen saßen. Er hinkte, weil er eine kleine Wunde am Bein hatte. Es war glatt. Wir gingen bergauf. Ich nahm seinen Arm und half ihm. Dabei sagte ich: »Wissen Sie, was ich bin? Ich bin Kommissar.« Sie können sich nicht vorstellen, was daraufhin mit ihm los war, er schrak gleich vor mir zurück usw.
Ich brachte ihn in den Unterstand zu den Deutschen, die in der Nacht an der vordersten Linie berichten sollten, wie es ihnen in russischer Gefangenschaft erging, machte sie mit Werner bekannt und sagte ihnen, sie sollten ihm berichten, was sie bei uns gesehen hatten. Als ich abends im Unterstand vorbeischaute, wandte sich Werner mit der Bitte an mich: »Gestatten Sie, Herr Hauptmann, dass ich meinen Kameraden heute erzähle, was ich bei Ihnen gesehen habe!« Und dieser Werner erstattete in derselben Nacht in 200 Meter Entfernung von den Schützengräben, in denen er eine Nacht vorher gesessen hatte, am Mikrofon Bericht.
Doch der Erfolg unserer Propaganda hing natürlich ganz und gar von dem Erfolg der Kampfhandlungen ab, die die Deutschen in eine extrem schwere Lage brachten.
Wir benutzten zwei Kommunikationsmittel im Kontakt mit den Deutschen. In der 149. Brigade kam zum Beispiel eine Katze aus einem etwa 60 Meter entfernten deutschen Unterstand in unseren Unterstand. Sie kam zu uns, weil es bei den Deutschen nichts zu fressen gab. Diese Katze haben wir auch zur Zersetzung der gegnerischen Truppen herangezogen. Anfangs befestigen wir ein Flugblatt an ihrem Schwanz und schickten sie zu den Deutschen. Nach einiger Zeit kam die Katze zurück. Nachdem wir diese Prozedur mehrere Male wiederholt hatten, nähten wir ihr ein Korsett, in dem bis zu 100 Flugblätter Platz hatten, und sie lief zwei Wochen zu den Deutschen und kam ohne Flugblätter zurück, bis die Deutschen ihr die Hinterbeine zerschossen und sie sterbend in unseren Unterstand kam. [731]
Die Deutschen hörten regelmäßig unsere Sendungen und lasen unsere Flugblätter. Das bestätigen zahlreiche Aussagen von Gefangenen. Um den Verbreitungsgrad unserer Propaganda zu überprüfen, hielt ich – es war schon nach der Kapitulation – in Dubowka eine Gruppe Gefangener an, etwa 500 Mann. Nachdem ich ihnen über die Lage an der Front berichtete hatte (wir hatten gerade Rostow zurückerobert), fragte ich, wer von ihnen unsere Flugblätter gelesen oder unsere Schalltrichter-Sendungen gehört hatte. Bis auf wenige Ausnahmen hoben alle die Hand.
In den letzten Tagen vor der Kapitulation gaben wir während des Sturms auf das Traktorenwerk mit einer starken Sendestation Informationen über die Situation ihrer Gruppierung an die Deutschen weiter, außerdem »Letzte Stunde«, und zwar so, dass unser Radio auf dem ganzen Gelände des Traktorenwerks zu hören war.
Ein paar Worte über das Heldentum. Ohne jede Übertreibung kann man sagen, dass während der ganzen Zeit der Stalingrader Kämpfe Kommandeure und Soldaten, natürlich mit einigen wenigen Ausnahmen, ein ungeheures Heldentum an den Tag gelegt haben. Oft, wenn ich während der Verteidigung an der vordersten Linie war, bestürmten mich die Rotarmisten mit Fragen, ob sie noch lange da liegen und wann sie zum Angriff übergehen würden.
Ein negatives Element unseres Heldentums, wenn man das so ausdrücken darf, ist eine übertriebene, schon irrsinnige Kühnheit und ein bisweilen völlig unnötiges Risiko. Tagsüber an der vordersten Linie passiert das immer wieder: »Wanka, gib mir Feuer«, und er kriecht aus dem Graben und läuft los, um sich Feuer für seine Papirossa zu holen. Oder wo man kriechen müsste, gehen die Männer aufrecht und werden dabei reihenweise getötet.
Von Stalingrader Helden ist viel gesagt und viel geschrieben worden. Ich möchte etwas von der Heldin unserer Armee sagen, Marussja Kucharskaja [732] , die 440 Verwundete vom Feld getragen hat. Ich sah sie auf dem Schlachtfeld. Sie ist tatsächlich ein vollkommen furchtloser Mensch. Saß im Unterstand und rechnete: »Also«, sagte sie, »wenn ich noch 60 raushole, werde ich Heldin der Sowjetunion.« Dann ist da Hauptmann Abuchow [733] , Bataillonskommandeur im 1153. Regiment, 343. Division. Mit seinem Bataillon, in dem nicht mehr als 30 aktive Bajonette waren, schlug er im Januar einige Dutzend Panzer-Gegenangriffe zurück. Mitte Januar wurde er von
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