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Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
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einer zufällig detonierenden Granate getötet. Die Artilleristen des 803. Art. Reg., 226. Division, trugen während unseres gesamten Vormarsches von der Steppenschlucht Jablonewaja, wo sie in Verteidigungsstellung gelegen hatten, bis zum Stalingrader Traktorenwerk ihre Geschütze selbst, denn wegen der Schneeverwehungen konnten Pferde nichts ausrichten, und die Männer begriffen gar nicht das Heldenhafte ihres Tuns. Man sah nichts Besonderes darin, es wurde zum Teil des Alltags.
    Ich möchte noch von der starken mechanischen Disziplin der Deutschen berichten. Ungeachtet der bekannten Erfolge unserer Propaganda und des beginnenden Prozesses der Zersetzung in den eingekreisten Verbänden muss betont werden, dass die große Masse der Soldaten Offiziersbefehle widerspruchslos befolgte. Einerseits verstärkte das die Probleme, die wir mit der Liquidierung der Gruppierung hatten, andererseits verweist das auf die Stärke der mechanischen Disziplin in der deutschen Armee. Wenn man nämlich mit jedem Deutschen, mit jedem Soldaten, einzeln spricht, will er angeblich nicht mehr kämpfen, aber sobald ein Feldwebel schreit: »Antreten!«, wird er antreten und stehenbleiben. Ich war selbst Zeuge davon. In der Nacht vom 2. auf den 3. Februar waren Regimenter, die kapituliert hatten und in Gefangenschaft gegangen waren, in der Nähe der Sowchose Stalingrad konzentriert, einige Kilometer vom Traktorenwerk entfernt. Hier nahmen wir sie in Empfang, registrierten sie, teilten jedem 250 Gramm Brot zu, gaben eine Wachmannschaft mit und schickten sie nach hinten, nach Dubowka. Die Nacht war sehr kalt. Ich weiß noch, ich trat zu einem Regiment, es waren etwa tausend Mann. Sie standen in einem ungeordneten Haufen herum. Ich kommandierte, sie sollten antreten, schrie: »Unteroffiziere und Feldwebel zu mir!« und sagte ihnen, sie sollten Gruppen von zehn Mann bilden, je zwei Laib Brot entgegennehmen und auf die Wachmannschaft warten. Warten mussten sie einige Stunden. Bisweilen hörte man unmenschliches Geheul. Das waren Männer mit Erfrierungen, die so schrien. Sie fielen zu Boden, starben, und die Soldaten blieben weiter in Reih und Glied stehen. Wenn ein Feldwebel oder Unteroffizier ihnen befohlen hat, stehenzubleiben, stehen sie. Diese starke mechanische Disziplin hat Ehrenburg ganz richtig beobachtet.
    Während der Kapitulation geschahen viele amüsante, interessante Dinge. So zum Beispiel der Abschied Generalmajor von Lenskis, des Kommandeurs der 24. Panzerdivision, von seinen Offizieren. Als er sich bereits im Gefechtsstand der 343. Division befand, bat er den Divisionskommandeur, Generalmajor Ussenko [734]   , um die Erlaubnis, sich von seinen Offizieren zu verabschieden. Ein Regimentskommandeur seiner Division, Oberst von Below [735]   , ließ die Offiziere antreten, machte von Lenski Meldung und nahm an der rechten Flanke Aufstellung. Von Lenski trat an die Offiziere heran und sprach folgendermaßen zu ihnen: »Meine Herren Offiziere, Ich danke Ihnen, dass Sie während unserer gemeinsamen Kampfhandlungen meine Befehle stets exakt ausgeführt haben. Sie haben Ihre Pflicht bis zum Ende erfüllt. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.« Diese Rede im Geiste von Napoleons Abschied von der Alten Garde machte auf die Offiziere großen Eindruck. Viele von ihnen brachen in Tränen aus.
    Wir verteilten die Offiziere auf die Autos, organisierten den Transport. Ich ging zu einem deutschen Stabsoffizier. Dort saß ein Oberst. Ich sagte:
    »Herr Oberst, bei Ihnen müssen einige Offiziere mitfahren.«
    Er erklärte mir in gebrochenem Russisch, dass viele Sachen im Auto seien, dass das kaum klappen werde. Er lächelte. Ich fragte:
    »Woher können Sie Russisch?«
    »Sehen Sie«, antwortete er, »ich mache diese Reise zum zweiten Mal. 1915 bin ich in Gefangenschaft geraten und habe drei Jahre in Krasnojarsk verbracht. Offenbar fahre ich jetzt in dieselbe Richtung.«
    Am 22. Januar fingen die Deutschen unter dem Druck unserer Verbände an, sich nach Stalingrad zurückzuziehen. Ich habe zum Beispiel selbst gesehen, wie am 23. und 24. die ganze Zeit hindurch eine Masse Fahrzeuge pausenlos zum Traktorenwerk fuhr. Im Traktorenwerk konzentrierte sich eine sehr große Anzahl Deutscher. Wir schätzen, dass es dreitausend sein würden, aber später haben wir bekanntlich dort allein schon etwa fünftausend Gefangene gemacht.
    Am 23., 24., 25. und 26. näherten sich unsere Verbände von Westen her dem Traktorenwerk. Von Norden hatten wir die ganze Zeit

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