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Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
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Verteidigungsstellungen direkt am Traktorenwerk inne. Ein Bataillon der 149. Schützenbrigade stand im sogenannten Stiefelchen auf dem Territorium des Traktorenwerks. Dort war eine Ziegelfabrik. Die Grube und ein paar Hütten am Hügel gehörten uns, der Rest den Deutschen. Am 25. und 26. näherten sich unsere Verbände vom Westen dem Traktorenwerk. Auf diese Weise war es von unseren Einheiten zur Hälfte eingekreist. Außerdem schnitten Verbände, die sich im Süden des Traktorenwerks befanden, den südlichen vom nördlichen Teil ab.
    Am 27. Januar begann der Sturm aufs Traktorenwerk. In der Nacht des 26. war ich von einem Mitglied des Militärrats und vom Leiter der Politabteilung beauftragt worden, in Tuchfühlung mit den Deutschen zu gehen, um ihnen die Kapitulation vorzuschlagen. Die Deutschen hatten das Traktorenwerk besetzt, hinter dem Werk begannen einige schmale Steppenschluchten. Hier war der sogenannte Neue Park. Diese Schluchten hatten sie besetzt. Auf der anderen Seite der Schlucht Mokraja Metschetka [736]   , wo die Deutschen ihre Unterstände hatten, waren unsere Unterstände. Ich ging also hin; ich kannte den Namen des deutschen Bataillonskommandeurs. Dort lag das 274. Regiment, sein Kommandeur hieß Kannengießer. Nach internationalem Recht konnte ich nur mit jemandem verhandeln, der den gleichen Rang hatte wie ich. Bis zu ihrem Unterstand waren es etwa 50 Meter. Ich sagte, hier spreche der Offizier der Roten Armee Sajontschkowski im Auftrag des Befehlshabers der Armee. Ich würde Hauptmann Kannengießer zu Verhandlungen auffordern. Ich sprach durch einen Schalltrichter aus dem Graben, zeigte mich sogar ein wenig. Kein Resultat. Ich wiederholte das Ganze. Eine MG-Salve peitscht über mich hinweg. Ich fing an, ihn zu reizen, sagte: »Sie, ein deutscher Offizier, sind ja offenbar ein mutiger Mann, wie können Sie da Angst haben zu antworten?« Wieder das MG. Da wandte ich mich an die Soldaten. Als der Hundesohn sechs Tage später in Gefangenschaft war, wollte ich nicht mit ihm sprechen, ich schickte den Dolmetscher. Er sagte, er habe das nicht gehört, er sei im Gefechtsstand des Regiments gewesen. Eine Lüge. Ich hatte die Deutschen gebeten, dreimal in die Luft zu schießen, und sie taten es nicht. Er erklärte, er habe doch nicht auf den Herrn Hauptmann schießen können! Also, mit ihm kam kein Kontakt zustande.
    Der Sturm auf das Traktorenwerk war auf den 27. festgesetzt. Ich muss sagen, dass wir nur noch sehr wenige aktive Bajonette hatten. In der Nacht vom 26. auf den 27. verließen die Deutschen von selbst die schmalen Schluchten und rückten dicht ans Traktorenwerk heran. Das entdeckten wir auf folgende Weise. Ich hatte die ganze Nacht [mit den Deutschen] gesprochen. Gegen sechs Uhr morgens kam ich im Gefechtsstand der Kompanie an und legte mich hin. Nach einer Stunde weckte mich der Kompaniechef und sagte: »Hör mal, Hauptmann, hast nicht umsonst gearbeitet, hier sind Gefangene, Überläufer.« Es waren drei Rumänen. Die Rumänen kamen an und sagten: »Die Deutschen sind weg.« Wir glaubten ihnen nicht. Eine Stunde später kam ein Deutscher, auch ein Überläufer, wie er erzählte, ein ehemaliger Komsomolze, Otto hieß er, mit einem großen Vorrat pornographischer Postkarten und anderem Zubehör, das für die Liebe nötig war. Er bestätigte, dass alle weg seien. Ich sagte: »Gut, du gehst voran, wir kommen hinterher. Merk dir, wenn du gelogen hast, kriegst du sofort eine Kugel in den Kopf.« Wir kamen hin, keiner war da, sie waren wirklich gegangen.
    Am 27. Januar um zwölf oder ein Uhr begann der Sturm aufs Traktorenwerk. Ich war auf der nördlichen Seite. Wir stiegen in die Steppenschlucht Mokraja Metschetka hinunter und konnten ein paar Häuschen einnehmen, die am Hang standen. Sie hielten sich sehr zäh. Ein extrem starkes MG-Feuer bestrich uns – da war nichts zu machen. Sie hatten kaum noch Artilleriegeschütze, sie hatten keine Granaten, aber noch viele Patronen für Gewehre und MGs.
    Hier geschah tatsächlich etwas Fürchterliches. Sie können sich nicht vorstellen, wie massiv unsere Luftwaffe angriff, unaufhörlich flogen 30 bis 35 Flugzeuge, in Wellen. So viel Artillerie hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Wirklich, da standen massenweise Kanonen, und alles feuerte auf die Deutschen. Da gab es alles, auch Raketen, alles gab es dort. Hier zeigte sich nicht die Weisheit unserer Armeeführung, sondern die des Genossen Stalin selbst. Uns kam das wüst vor: Wir

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