Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
freilich Moskauer Zeitungen, zwei Tage nach ihrem Erscheinen. Nachdem jedoch die Luftpost eingestellt worden war, bekamen wir die Zeitungen erst 8–9 Tage später und verwendeten nur noch die Berichte des Informationsbüros.
Jeden Tag fielen Männer aus. Am Ende der Kämpfe waren von der ganzen Division noch etwa 300–400 Mann am rechten Wolgaufer übrig. Von den 780 Kommunisten hatten wir, als wir in Stalingrad ankamen, nur noch 300, und in Stalingrad selbst blieben nur ganz wenige von denen übrig, die hierhergekommen waren. […] Der Stabschef Djatlenko wollte, obwohl er verwundet war, trotzdem seinen Parteiausweis erhalten, er kam dann, noch hinkend, zu uns und arbeitete vortrefflich.
Der untergeordnete Kommandeur Fugenfirow war schwer verwundet. Die unterste Organisation hatte ihn schon in die Partei aufgenommen, aber das Büro hatte seine Mitgliedschaft noch nicht bestätigt. Als er im Sterben lag, erinnerte er an seinen Parteiausweis und wollte wissen, ob er in die Partei aufgenommen worden sei.
Obersergeant Kokorina: Ich wurde am 14. Oktober Anwärterin auf die Parteimitgliedschaft. Aufgenommen wurde ich während grausamer Kämpfe schon in Stalingrad, als wir die Skulpturenstraße überquert hatten. Da nahmen mich der Kompaniechef Alexejew und die Schuwanowa aus dem Sanitätstruppendienst in die Partei auf. Am folgenden Tag sollten wir zum DPK – Divisionsparteikomitee – gehen. Am Abend des 15. Oktober wurde Schuwanowa getötet. Alexejew war schwerverwundet ans linke Wolgaufer gebracht worden. Nur ich war noch übrig. Trotzdem beschloss ich, zu dieser Festsitzung zu gehen. Ich ging zusammen mit dem stellvertretenden Kommandeur der politischen Sektion Pogrebnoi. Der Gefechtsstand befand sich in einem hohen, roten Gebäude, das mehr oder weniger intakt geblieben war. Als wir unterwegs waren, begann der Deutsche zu schießen und Bomben zu werfen. Trotzdem wollten wir, da man auf uns wartete, irgendwie hinkommen und unsere Parteidokumente in Empfang nehmen. Wir gingen durch Ruinen, über die Eisenbahnlinie. Um uns herum ein einziges Getöse, die MPi-Schützen feuern. Wir beide erreichten unseren Stab, aber aus der Division war niemand gekommen. Wir warteten eine Weile und kehrten dann zurück. Auf dem Rückweg konnte ich nicht mit ihm mithalten und verirrte mich leicht. Dort sah es damals so aus: Eine Straße gehört uns, die andere nicht, ein Haus gehört uns, das andere nicht. Ich ging und bog in die falsche Straße ein. Näherte mich einem Haus und hörte deutsches Palaver. Mir wurde mulmig, allerdings hatte man mir eine Pistole gegeben. Ich hielt mich rechts und gelangte aus deutscher Reichweite. Schaute auf, da stand jemand. Ich richtete mich halb auf, spähte genau hin, da stand eine Gestalt mit Maschinenpistole, also Pogrebnoi. Ich ging auf ihn zu, er schimpfte mich aus. Kaum waren wir am Gefechtsstand angekommen, stürzten die Kämpfer heraus und sagten: Der Stabschef unseres Bataillons ist verwundet. Dort waren unsere Mädchen, sie leisteten ihm Erste Hilfe. Er war am Kopf verletzt. Ich verband ihn neu, legte ihm einen Druckverband an. Den Kandidatenausweis erhielt ich am anderen Ufer in Bruni. Im Februar 1943 wurde ich als ordentliches Mitglied in die Partei aufgenommen und als örtlicher Parteiführer gewählt.
Koschkarjew (Sekretär des Parteibüros im 339. Regiment): Wie wurde die parteipolitische Arbeit in Stalingrad durchgeführt? […] Hier hatte man etwas Neues eingeführt: Jeder Soldat musste ein eigenes Konto eröffnen, auf dem er individuell über die von ihm getöteten Soldaten Buch führte. Dieses persönliche Konto wurde zum wesentlichen Stimulus für den sozialistischen Wettbewerb, wer die meisten Deutschen tötete. Wir überprüften dann diese Konten, und wenn darin keine getöteten Fritzen waren, redeten wir den Genossen ins Gewissen.
Bataillonskommissar Stepanow: Die politische und erzieherische Seite zu Beginn der Regimentsformation: Wie ich mich erinnere, kamen 90 Verurteilte zu uns. Abgerissene, verlauste, hungrige Männer, echte »Urki«, wie die Diebe im Lagerjargon heißen. Zuerst erschrak ich über diese Leute, dachte, wie soll ich die erziehen und verteilen? Außerdem kamen diese Männer alle aus demselben Lager und waren durch ihre Lagerfreundschaft zusammengeschweißt. Ich weiß noch, als ich die Baracke kontrollieren ging, in der sie untergebracht waren, sah ich vier nackte Männer auf den oberen Pritschen sitzen und Karten spielen. Kaum war ich eingetreten,
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