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Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
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ein paar Tage hier, habe aber Sehnsucht nach meinen Lieben, wie geht es ihnen dort ohne mich? Vor dem Militärdienst wollte ich auf die Universität gehen, mich in die Fakultät für Geschichte und Philologie einschreiben. Ich bin sehr gern in Archiven, stehle mich hinein und stöbere dort herum.
    Oberstleutnant Swirin: In unserer Division haben wir unsere sibirischen Traditionen. Gerade bereiten wir ein Buch vor: Die Sibirjaken bei der Verteidigung Stalingrads . [424]   […] Auf der Basis unserer Kampferfahrung und der Traditionen der besten Männer bauen wir die ganze parteipolitische Arbeit auf.
    Aus dem Russischen von Annelore Nitschke

Wassili Grossmans »Hauptstoßrichtung«
    Die Moskauer Historiker waren nicht die Ersten, die sich für die Soldaten der 308. Schützendivision interessierten. Bereits im November 1942 hatte Wassili Grossman mit Oberst Gurtjew und mehreren seiner Soldaten gesprochen. Diese Gespräche bildeten die Grundlage für seine im Roten Stern am 25. November 1942 veröffentlichte Erzählung vom 351. Regiment, das auf der »Hauptstoßrichtung« (so der Name des Essays) der vordringenden Deutschen lag und am 4. Oktober vernichtet wurde. Wir drucken hier diesen Essay in der Fassung vom November 1942 ab. [425]   Grossmans Reportage ist konkordant mit den von den Historikern gewonnenen Protokollen und zeigt, wie akribisch der Journalist und Schriftsteller historische Zeitzeugenaussagen in seine Veröffentlichungen einarbeitete. Zugleich macht der Essay auch Grossmans meisterhafte Kunst der literarischen Verdichtung deutlich.

Wassili Grossman, Aufnahme von 1945
    Grossman beeindruckte der Verteidigungswillen der Soldaten, der die Division zusammenhielt, sie in »einen vollkommenen, hervorragend eingeregelten Organismus« verwandelte. In dieser Division war »Heldentum Alltag geworden, … zur täglichen Gewohnheit geworden«. Mit Sicherheit waren die Historiker mit Grossmans Essay vertraut, und womöglich brachte er sie dazu, im April 1943 die überlebenden Soldaten der 308. Schützendivision ausfindig zu machen.

    Wassili Grossman: »Hauptstoßrichtung«
    In der Nacht bezogen die sibirischen Regimenter von Oberst Gurtjews Division die Verteidungsstellungen. Der Anblick einer Fabrik ist immer schroff und streng, aber lässt sich auf der Welt ein schrofferes Bild finden als jenes, das die Männer der Division an diesem Oktobermorgen des Jahres 1942 erblickten? Dunkle Kolosse der Werksgebäude, von Nässe glänzende Schienen, hier und dort schon leicht korrodiert, aufgetürmte zerstörte Güterwaggons, Berge von Stahlrohren, Hügel von roter Schlacke und Kohle, unordentlich aufgeschüttet auf dem riesigen Fabrikhof, der so groß ist wie der Platz einer Stadt, mächtige Fabrikschlote, an vielen Stellen von deutschen Geschossen durchlöchert. Auf der asphaltierten Fläche dunkle Gruben, von Fliegerbomben ausgeschachtet, überall Stahlsplitter, zerrissen von der Gewalt der Explosion, wie dünne Stofffetzen. Die Division hatte den Auftrag, vor dieser Fabrik Stellung zu beziehen. Hinter ihr war die kalte, dunkle Wolga. Zwei Regimenter verteidigten die Fabrik. Einer der Gefechtsstände wurde in dem betonierten Kanal, der unter den Hauptgebäuden verlief, eingerichtet. Das dritte Regiment verteidigte den Raum der tiefen Schlucht, die sich durch die Werkssiedlungen zur Wolga hinunterzog. »Todesschlucht« nannten ihn die Kämpfer und Kommandeure des Regiments. Ja, hinter ihnen war die eisige dunkle Wolga, hinter ihnen war Russlands Schicksal. Die Division hatte den Auftrag, bis zum Tod standzuhalten. Der vorige Weltkrieg hat Russland viele Opfer und viel Blut gekostet, aber im Ersten Weltkrieg war die finstere Gewalt des Feindes zwischen der westlichen und östlichen Front aufgeteilt. Im gegenwärtigen Krieg hat Russland die ganze Wucht des deutschen Einfalls getroffen. 1941 rückten die deutschen Regimenter von Meer zu Meer vor. Im laufenden Jahr 1942 konzentrierten die Deutschen die ganze Kraft ihres Vorstoßes in südöstlicher Richtung. Was im vorigen Krieg auf zwei Fronten zwischen den Großmächten aufgeteilt war, traf Russland im vergangenen Jahr mit geballter Wucht – auf einer Frontlinie von dreitausend Kilometern Länge, und in diesem Sommer und Herbst sauste der schwere Hammer auf Stalingrad und den Kaukasus nieder. Doch nicht genug damit, hier, in Stalingrad, verschärften die Deutschen ihren offensiven Druck erneut. Sie stabilisierten ihre Anstrengungen in den südlichen und zentralen

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