Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
Gefechtsstand der Division Meldung über die Lage.
Hier konnte man mich nicht verbinden. Die MPi-Schützen kamen schon dicht an den Gefechtsstand der Division heran. Ich bat nur, man solle mir eine Waffe geben oder mich mitnehmen. Man gab mir keine Maschinenpistole. Der Deutsche drängte vor, und der Divisionsstab ging weiter. Ich musste allein wegkriechen. Am zweiten Tag erreichte ich kriechend Stalingrad, es waren noch 300 Meter, da weinte ich zum ersten Mal im Leben. Stalingrad war nah, aber ich würde es nicht erreichen. Ich kroch weitere 150 Meter, da lasen mich ein alter Mann und seine Tochter auf, sie brachten mich in Stalingrad zu sich nach Hause. Die Tochter machte mir einen Verband, gab mir Milch zu trinken. Sie hieß Soja. Dann schickten sie mich über die Wolga. Ich küsste ihn und seine Tochter zum Abschied. Er beweinte mich wie einen Sohn. Danach kam ich ins Lazarett.
Quelle: NA IRI RAN, f. 2, razd. III, op. 5, d. 38, ll. 36–37 ob.
Aus dem Russischen von Annelore Nitschke
Regimentskommandeur Alexander Gerassimow
Der hier gezeigte Ausschnitt aus der Erzählung des Regimentskommandeurs Alexander Gerassimow schließt dort an, wo das Interview mit seinem Kompanieführer Awerbuch abbricht. Im Gefecht vom 8. September, dass Awerbuch schwerverletzt überlebte, fiel der Kommandeur der 35. Gardedivision, Wassili Glaskow. [614] Zwei Regimenter waren zu dem Zeitpunkt praktisch vernichtet; die verbliebenen Soldaten wurden in Gerassimows Regiment eingegliedert. Die gesamte 35. Gardedivision zählte am 12. September nach Angaben von Armeegeneral Tschuikow noch 250 kampffähige Soldaten. [615] Gerassimows Regiment zog sich in den folgenden Tagen weiter zurück. Es hielt sich vorübergehend am Getreidesilo am südlichen Stadtrand von Stalingrad und war am 20. September von allen Seiten von deutschen und rumänischen Truppen umstellt. Vom neuen Divisionskommandeur erhielt Gerassimow den Befehl, mit seinen Männern durch die deutschen Stellungen zum Divisionsgefechtsstand an der Mündung der Zariza durchzubrechen. An den Ausbruch, den »spannendsten Kampf von allen«, den »schwersten, kritischsten Moment« seiner Stalingrader Kampferfahrungen, erinnerte sich Gerassimow im Interview sehr genau. Das Kampfgetümmel, das er als einen Albtraum beschrieb, verfolgte den später verwundet im Lazarett von Saratow liegenden Regimentskommandeur noch im Schlaf.
Stenogramm des Gesprächs mit
Oberstleutnant Alexander Akimowitsch GERASSIMOW,
Kommandeur des 101. Garderegiments.
17. 12. 1942
A. Schamschina stenographiert
[…] Am Abend des 8. [September 1942] waren schon alle Verbände an den Stadtrand von Stalingrad verlegt worden, wo sie der Befehl des Oberbefehlshabers der 62. Armee erreichte, direkt zur Verteidigung der Stadt Stalingrad überzugehen. Dann wurden alle Verbindungen unterbrochen, es gab keine Verbindung mehr zu den Einheiten, jeder Austausch mit der Artillerie war unterbrochen. Hier, in dieser Situation, fiel Generalmajor Gen. Glaskow, der Kommandeur der 35. Division. Zunächst wurde er von einem MPi-Schützen am Bein verwundet, dann, als ein Wagen kam und er hineingelegt wurde, wurde er von einem Flugzeug aus erschossen. Das übte eine noch stärkere Wirkung auf die Gefechtsleitung aus. Doch trotz dieser schwierigen Lage gelang es dem Kommando der 35. Division, alle ihre Verbände zu sammeln und zu ordnen und direkt zur Verteidigung der Stadt Stalingrad überzugehen, vor allem ihres südlichen Teils, Kuporosnaja. Wir hatten vom Kommandeur der 35. Division [616] den Befehl erhalten, einen Verteidigungsabschnitt südlich von Kuporosnaja einzunehmen und die Bahnlinie Stalingrad–Beketowka zu unterbrechen. Am 9. September standen die Reste aller Verbände zur Verteidigung bereit. Die Hauptkräfte des Gegners waren gegen die Schnittstelle von 62. und 64. Armee gerichtet, zwischen der Ortschaft Beketowka und Stalingrad. Er bewegte sich mit Panzern und Mannschaften in diese Fuge hinein und begann, gegen unsere Verbände vorzustoßen, und zwar von Süden nach Norden.
Unsere Division setzte mit den Resten der Mannschaften, vermutlich kaum mehr als tausend Mann, vom 9. bis zum 21. September die Verteidigung Stalingrads fort, wobei die Abwehrkämpfe bereits unmittelbar in der Ortschaft Stalingrad geführt wurden. Hier spielten sich die ganze Zeit starke Abwehrkämpfe ab. Mein Regiment blieb als einziges von der Division übrig. Am 8. existierten das 100. und das 102. Regiment
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