Die standhafte Witwe
Erschöpfung siegte. Sie beschloß, bis zum nächsten Tag zu warten, um ihrem Mann Vernunft einzureden. Aber einer Sache war sie sich ganz sicher: Sie würde ihren Mann nicht Raulf und König John gegenübertreten lassen, ohne einen narrensicheren Plan zu haben. Sie würde verlangen, daß er mindestens eine Armee Highlander mitnahm.
Der Morgen erwies sich als zu spät, um ihren Mann zur Vernunft zu bringen. Als Johanna sich angezogen hatte und die große Halle betrat, berichtete Nicholas, daß Gabriel bereits die Burg verlassen hatte.
Es kostete Johanna jedes bißchen Kraft, das sie besaß, um sich zusammenzureißen und nicht hysterisch zu schreien. Sie verbrachte den Tag mit verzehrenden Sorgen, und gegen Abend war sie mit ihren Nerven am Ende.
Vater MacKechnie saß auf Johannas Drängen am Kopf des Tisches, sie zu seiner Rechten, Clare neben ihr, und Nicholas hatte gegenüber Platz genommen.
Beim Gedanken an das Essen drehte sich Johanna der Magen um. Sie konnte es kaum ertragen, andere zugreifen zu sehen. Sie sprach kein Wort, bis die Schneidebretter vom Tisch geräumt waren.
»Nicholas, wie hast du ihn gehen lassen können?« schrie sie plötzlich.
»Gehen lassen? Johanna, ich habe auf ihn eingeredet, aber dein starrsinniger Mann hörte einfach nicht zu.«
Sie versuchte, sich zu beruhigen. »Dann siehst du also auch die Gefahr …«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht versucht, ihn davon abzuhalten. Ich wollte ihn überreden, mich mitzunehmen.«
»Er hat nicht genug Soldaten bei sich.«
»Er weiß, was er tut«, verteidigte Nicholas ihn und sich.
»Er hat nicht einmal genug Zeit, um sich einen Plan auszudenken. Er kann doch nicht einfach bei Hof hereinplatzen und verlangen, daß man ihm zuhört!«
Nicholas grinste. »Doch«, gab er zurück. »Dein Mann kann sehr überzeugend auftreten, wenn er will. Er wird schon angehört werden, glaub mir.«
»Ihr hättet gehen müssen«, platzte Clare heraus. »Ihr seid ein englischer Baron. Auf Euch hätte der König gehört.«
Nicholas wandte sich an die schöne Frau, die ihn mit solch einer Empörung ansah.
»Das war ja mein stärkstes Argument«, antwortete er.
Johanna schüttelte den Kopf. »Wenn, dann wird nur Gabriel es schaffen, den König zur Vernunft zu bringen.«
Nicholas lehnte sich im Stuhl zurück. »Wie kommst du darauf?«
Augenblicklich taten ihr diese Worte leid. »Weil er mein Mann ist«, antwortete sie. »Außerdem hast du gestern abend gesagt, du hättest schon versucht, mit John zu reden, ohne daß er auf dich gehört hätte.«
»Dennoch hätte ich mitgehen sollen.«
»Und warum habt Ihr es dann nicht getan?« fragte Clare.
»Er bat mich, hierzubleiben«, antwortete er. »Gabriel hat mir die Verantwortung für dich übertragen, Johanna, und er wird verdammt unzufrieden sein, wenn er wiederkommt und dich krank vor Sorge vorfindet.«
»Wenn er zurückkommt«, flüsterte Johanna.
»Du beleidigst Gabriel, das in Zweifel zu ziehen«, sagte Nicholas. »Du solltest mehr Vertrauen in seine Fähigkeiten haben.«
Johanna brach in Tränen aus. Vater MacKechnie ließ das Stück Brot fallen, das er in der Hand hielt, und tätschelte ihr beruhigend die Schulter.
»Na, na, Kindchen. Alles wird gut.«
Während der Priester versuchte, seine Herrin zu trösten, attackierte Clare Nicholas.
»Sie liebt ihren Mann«, schrie sie. »Wie könnt Ihr es wagen, sie zu kritisieren? Sie fürchtet um sein Leben, und was tut Ihr? Ihr redet ihr noch ein schlechtes Gewissen ein!«
Während ihrer Worte sprang sie auf die Füße, kreuzte die Arme vor der Brust und funkelte Nicholas zornig an.
Er reagierte weder auf ihre Worte noch auf ihr Verhalten. Aber er war auch nicht beleidigt. Statt dessen empfand er Bewunderung, daß Clare seine Schwester so heftig verteidigte.
»Wie konntet Ihr in kurzer Zeit eine solche Loyalität zu meiner Schwester entwickeln?« Seine Stimme klang sanft und freundlich, und ihr Zorn schien augenblicklich in sich zusammenzufallen. Sie ließ sich zurück auf ihren Stuhl sinken, richtete das Plaid über ihrer Schulter, strich sich eine Strähne aus der Stirn und sah dann wieder zu Nicholas.
Er lächelte sie an. Er sieht wirklich gut aus, dachte sie, und die Zärtlichkeit in seinen Augen erwärmte sie. Sie versuchte, diese Gedanken abzuschütteln und sich auf seine Frage zu konzentrieren.
»Eure Schwester hat mir das Leben gerettet.«
Johanna tupfte sich die Augen trocken, dankte dem Priester und wandte sich an Clare.
»Du hast
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