Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
erfahren«, entgegnete die Priesterin mit leisem Spott. »Ein Großteil meiner und eurer Reise ist ein Rätsel. Wir können nur darauf vertrauen, dass die Magie unserer Vorfahren stark ist, weil das, was wir verlangen, Wunder sind.«
»Deine Ankunft hier war schon ein Wunder.« Jetzt, da der kritische Moment nahte, merkte Jean, dass sie vor Aufregung vibrierte. »Warum sollten uns nicht noch mehr begegnen?«
Nikolai nahm Jeans Hände fest in seine. Das verzauberte Armband trug sie so an ihrem rechten Handgelenk, dass die erste Perle zwischen ihrer beider Hände ruhte. »Ich könnte mir keine bessere Partnerin für dieses Abenteuer wünschen«, sagte Nikolai leise. »Sollen wir?«
Für einen Moment war Jean versucht, zu fliehen, den Kreis zu brechen und zu der Welt zurückzukehren, die sie kannte. Aber ihre sichere Überzeugung, dass es ihr bestimmt war, diesen Weg zu gehen, beruhigte sie wieder. Sie blickte sich im Kreis der Priester um. »Ich hoffe, euch alle wiederzusehen, doch wenn nicht, dann danke ich dir, Adia, und auch euch anderen und ganz Santola. Ihr alle habt mir geholfen, meinem Leben einen Sinn zu geben.«
Sie erhob ihren Blick zu Nikolai. »Jetzt!«
Beide ließen ihre ganze Macht in die verzauberte Perle einfließen. Zu ihrer eigenen Energie kam die Adias, Omars, Nayos und Enams hinzu. Jeder Priester fügte dem Regenbogen umherwirbelnder Macht seine eigene Note hinzu. Drei Männer, drei Frauen, deren Energie sich im Gleichgewicht befand und Geist und Körper füllte.
Die verzauberte Perle, die sie zu dem ersten kritischen Ereignis führen würde, löste sich in einer Welle jäher Hitze auf, die Jean die Hand versengte. Die Welt färbte sich violett, nahm den gleichen Farbton wie das vor ihnen auflodernde Feuer an. Pure Energie umhüllte sie mit einem Wirbel aus Magie und Schicksal, der sie tiefer und tiefer in sich hineinzog.
Mit ihrer ganzen Leidenschaft und Entschlossenheit warf Jean sich in diesen Strudel - und riss Nikolai mit sich.
Als Jean und der Captain verschwanden, war Adia der Ohnmacht nahe und fiel kraftlos auf die Knie. Sie hatte so viel von ihrer Macht verbraucht, dass sie kaum noch den magischen Kreis schließen konnte, den die Priester geschaffen hatten. Als sie es geschafft hatte, kam Nayo zu ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern, um ihr Kraft und Energie zu spenden. »Du hast getan, was du konntest«, sagte die andere Frau leise. »Alles andere liegt jetzt bei den Vorfahren und den Göttern.«
Mit Omars Hilfe gelang es Adia, sich aufzurichten. »Die Sklaverei existiert seit Anbeginn der Zeiten. Ob man sie überhaupt beenden kann?«
»Es ist möglich«, sagte Nayo fest. »Doch jetzt werden wir zunächst einmal etwas essen und unsere Energie zurückgewinnen.«
Adia lächelte, als die vier Priester den Versammlungsort verließen. Große Ziele waren wichtig, aber das Abendessen war es auch.
Jean fühlte sich, als würde sie Stück für Stück auseinandergerissen. Das einzig Reale waren Nikolais Hände, seine warmen Finger um die ihren.
Einen schrecklichen Moment lang dachte sie, sie würden getrennt und einander in dem Strudel verlieren. Aber dann verfestigte sich ihr Körper, und sie wurde wieder zu einem Ganzen, obwohl sie dabei keuchend auf die Knie fiel.
Nikolai schaffte es, sich aufrecht zu halten, und hatte selbst jetzt noch ihre Hand umklammert. »In drei Teufels Namen!«, fluchte er. »Da wäre ich doch tausend Mal lieber auf einem Schiff, sogar bei einem Sturm!«
»Oder auf dem Rücken eines durchgehenden Pferdes.« Mit seiner Hilfe stand Jean schwankend auf. Es war Nacht, und sie befanden sich in einer Stadt. Jean roch den Gestank von zu vielen auf zu engem Raum lebenden Menschen und spürte Mauern, die die schmale, leere Straße begrenzten, noch bevor sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Der Himmel war bewölkt und die Luft feuchtkalt. Fröstelnd zog sie ihren Umhang fester um die Schultern. Da weit und breit kein Licht zu sehen war, hatte die Dunkelheit etwas Finsteres und Bedrohliches.
Nikolai legte einen Arm um ihre Schultern »Weißt du, wo wir sind?«
»Es könnte London sein«, erwiderte sie unsicher. »Aber ich war noch nicht in so vielen großen Städten, dass ich sie voneinander unterscheiden könnte.«
»Wenn das hier London ist, dann ist es ganz schön dunkel.«
»Wie ich gehört habe, soll London die am schlechtesten beleuchtete Stadt Europas sein. Dem Gesetz nach müsste es auf Hauptstraßen Laternen geben, aber das hier
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