Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
der mit einem gut gekleideten Afrikaner sprach. »Weißt du, mit wem sich Nikolai da unterhält?«
»Das ist Gustavus Vasa, ein ehemaliger amerikanischer Sklave, der genug verdiente, um sich freizukaufen, und heute in England lebt. Seine Schriften und Reden über Abolition haben ihn sehr bekannt gemacht.« Megs Lächeln wurde bitter. »Selbst der glühendste Anhänger der Abolition unterstützt Schwarze für gewöhnlich lieber aus der Entfernung. Nur einen so redegewandten, charmanten Mann wie Vasa wirst du in einem Salon antreffen.«
»Unterstützung aus der Ferne ist immer noch besser als gar keine«, bemerkte Jean. »Aber wieso heißt er Gustavus Vasa? War das nicht ein schwedischer König?«
»Mr. Vasas erster Besitzer fand es amüsant, einen Sklavenjungen mit einem großen königlichen Namen anzureden«, erklärte Meg. »Jetzt schreibt Mr. Vasa ein Buch über seine Erfahrungen, und Simon ermutigt ihn, es unter seinem afrikanischen Namen zu veröffentlichen.«
»Er scheint ein interessanter Mann zu sein.« In der Hoffnung, Gelegenheit zu bekommen, mit ihm zu sprechen, blickte Jean sich in dem überfüllten Raum um. »Ich dachte, ich hätte beim Hereinkommen noch einen anderen Afrikaner gesehen.«
»Das wird Quobna Cuguano gewesen sein, ein weiterer afrikanischer Schriftsteller und Redner, der in vornehmen Salons akzeptiert wird.« Meg seufzte. »Vielleicht wird man eines Tages an einem Empfang von Weißen, Schwarzen, Indianern und Chinesen teilnehmen, und niemand wird die Hautfarbe beachten, doch davon sind wir heute noch weit entfernt.«
Jean, die an Santola dachte, sagte: »Ich kenne einen Ort, an dem Menschen aller Hautfarben einträchtig zusammenleben, sodass das also durchaus möglich ist. In England wird das jedoch nicht so bald geschehen.«
»Ich wäre schon zufrieden mit der Abschaffung des Sklavenhandels. Die Freiheit zuerst, und irgendwann wird dann auch die Gleichheit kommen.« Megs Blick glitt an Jean vorbei. »Da ist jemand, den ich sehen muss. Wir sprechen uns noch, bevor der Empfang zu Ende ist.«
Die Gräfin ging und gab Jean dadurch Gelegenheit, die Menge zu beobachten, nicht nur mit ihren Augen, sondern auch mit ihrer Magiersicht. Einige Gäste waren modisch elegant wie die Falconers, andere viel nüchterner gekleidete Protestanten, doch alle vereinte der aufrichtige Wunsch, den Sklavenhandel zu beenden. Viele hatten der Sache sehr viel Zeit und Geld gewidmet.
Dennoch war der Dämon nicht weit entfernt. Wie Nikolai gesagt hatte, war sogar außerhalb dieses Leuchtfeuers guten Willens die negative Energie zu spüren. Befürworter der Sklaverei mochten aus eigennützigen Motiven handeln, aber sie waren genauso leidenschaftlich wie die Abolitionisten. Selbst hier, in William Wilberforces Bibliothek, war der Geist der Sklaverei nicht weit entfernt.
Er war sogar unheimlich nahe. Voller Unbehagen blickte Jean sich um und fragte sich, ob die Sklavenhalter-Lobby einen Spion geschickt hatte und es dessen Energie war, die sie spürte.
Ihre Spekulationen fanden ein Ende, als Wilberforce auf ein Rednerpodium stieg, das nur wenige Schritte von Jean entfernt errichtet worden war. Trotz der zusätzlichen Höhe überragte er kaum die Menge, aber als er zu sprechen begann, nahm er die Aufmerksamkeit aller Gäste in dem großen Raum gefangen. »Meine Freunde, es ist schön, euch heute hier begrüßen zu dürfen, um die großen Fortschritte zu feiern, die wir bei den Bemühungen um die Abschaffung des Sklavenhandels errungen haben.«
Beifall brauste auf. Mit einem leisen Lächeln wartete Wilberforce geduldig ab. Jean sah, dass Nikolai sich durch die Menge einen Weg zu ihr bahnte. Er erreichte sie, als Wilberforce gerade wieder das Wort ergriff.
»Ich dachte, ihr wärt sicher an unserer Strategie für die unmittelbar bevorstehende Sitzungsperiode des Parlamentes interessiert«, sagte Wilberforce. »Es werden Anhörungen stattfinden, die eindeutige und unwiderlegbare Beweise für die Schändlichkeit des Handels erbringen werden. Ich habe vor, diese Beweise dem Plenum vorzutragen. Meine Mitabgeordneten mögen sich zwar dafür entscheiden wegzusehen, aber sie werden zumindest nie wieder behaupten können, nichts davon gewusst zu haben!«
Wieder erhob sich begeisterter Applaus. »Ein Entwurf für ein Gesetz wurde erarbeitet, das den Sklavenhandel für illegal erklären wird«, fuhr Wilberforce fort. »Stapel von Eingaben und Unterschriftenlisten zur Unterstützung unserer Sache werden dem Parlament aus
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