Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
wir den letzten Schritt tun und sehen, wohin er führt?«
»Und hoffen, dass uns keine Überraschungen erwarten.« Nikolai nahm ihre Hand, und gemeinsam aktivierten sie den Zauber. Jean schloss die Augen und betete, dass sie sich, wenn sie sie wieder öffnete, auf Santola und in ihrer eigenen Zeit befinden möge.
37. Kapitel
D
er Übergang ging mühelos vonstatten, er war kaum schwieriger, als durch einen dunklen Raum zu gehen. Jean und Nikolai landeten in einem Haus - und es war nicht seine Villa auf Santola. Jean schluckte heftig und versuchte, die Tränen zurückzudrängen, die ihr angesichts der Gewissheit kamen, dass sie ihr Heim und ihre Familie nun nie wiedersehen würde. Trotz ihrer Bemühungen, diese Möglichkeit gelassen hinzunehmen, war die Wirklichkeit doch äußerst niederschmetternd.
Während sie gegen ihre Enttäuschung ankämpfte, ließ Jean Nikolais Hände los und sah sich in dem Zimmer um. »Das sieht wie ein Schlafzimmer in einem ziemlich feudalen Londoner Stadthaus aus. Kannst du spüren, wo wir uns befinden?«
»Auf jeden Fall in London.« Nikolais Seufzer verriet, dass er ebenso enttäuscht wie sie war. »Tut mir leid, Jean. Ich wäre auch gern heimgekehrt, doch für dich ist der Verlust viel größer.«
»Wenigstens sind wir in England und nicht irgendwo in der Barbarei.« Sie trat ans Fenster und blickte auf die Straße hinunter. Es war später Nachmittag, nach dem Licht zu urteilen, und irgendwann im Winter. Das Haus befand sich an einem der hübschen Londoner Plätze, die um einen kleinen Park herum verliefen. »Wir sind in Mayfair, denke ich, aber ich kann mich nicht erinnern, je in diesem Haus gewesen zu sein. Ganz offensichtlich wartet hier noch mehr Arbeit auf uns.«
Sie sah mehrere Frauen vorbeigehen, deren Anblick ihren Atem stocken ließ. »Es könnte sein, dass wir sehr weit in die Zukunft gereist sind. Ich sehe Frauen in Kleidern, die kaum mehr als Hemden sind!« Die fließenden Kleider mit der hoch angesetzten Taille waren hübsch, wären aber in jeder Zeitspanne, die Jean erlebt hatte, als unschicklich betrachtet worden.
»Als Mann muss ich gestehen, dass diese Mode mir gefällt«, sagte Nikolai, als er zu ihr ans Fenster trat. »Die Herrenkleidung hat sich nicht so sehr verändert, und diese Damen dort drüben sind wesentlich dezenter gekleidet. Vielleicht ist eine neue Mode im Kommen und hat sich nur noch nicht durchgesetzt.«
Jean betrachtete die Passanten auf der Straße genauer. »Du hast recht - ich war so erstaunt über die Veränderung, dass ich alles andere übersehen habe. Vielleicht sind wir doch nicht in einer so viel späteren Zeit.«
Sie hörten feste Schritte, die sich näherten, und sahen sich beunruhigt an. Schließlich befanden sie sich im Haus von Fremden, für die es so aussehen musste, als wären sie Einbrecher.
Nikolai nahm ihre Hand. »Die Vorfahren haben uns bisher noch nie enttäuscht.«
Die Tür wurde geöffnet, und Jean umklammerte Nikolais Hand noch fester, als eine Frau eintrat. Es dauerte einen Moment, bis sie Lady Bethany March, Lord Falconers Tochter, erkannte. Sie war von Beginn an Teil des Schutzschildes gewesen, und wie der Rest ihrer Familie besaß sie große Macht. Ruhig und beherrscht wie ihr Vater, verzog sie kaum eine Miene, als sie die unerwarteten Besucher sah. »Mein Bruder erzählte mir, dass er euch auf einer Straße gefunden hat, aber mitten in meinem Haus zu landen, übertrifft das noch. Willkommen, Reisende!«
»Die Vorfahren werden immer zielsicherer, glaube ich«, sagte Jean. »In welchem Jahr sind wir? Die Kleidung hat sich sehr verändert.«
»Es ist 1807, also sechzehn Jahre nach eurem vorigen Besuch.« Bethany, die heute eine reife Frau in den Fünfzigern war, sah sehr gut in einem der neuen schmalen Kleider aus. »Wilberforce hat in all diesen Jahren gewissenhaft Gesetzesvorlagen gegen den Sklavenhandel eingereicht. Eine kam sogar durch, nur um dann im Oberhaus zu scheitern. Aber die Umstände haben sich geändert, und diesmal besteht eine gute Chance, dass das Gesetz verabschiedet wird«, erklärte sie mit hoffnungsvollem Blick. »Vielleicht seid ihr hier, um den Ausschlag für den Sieg zu geben.«
»Das dachte Lord Buckland 1791 auch. Stattdessen jedoch schienen wir dort nur angekommen zu sein, um den Schaden zu begrenzen«, wandte Nikolai ein. »Inwiefern haben sich die Umstände geändert?«
»Kommt zum Tee mit in mein Wohnzimmer, dann erkläre ich es euch.« Lady Bethany führte sie durch das ganze
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