Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
wohlwollenden Gott, wenn ein solches Wesen existierte.«
Angesichts seiner Vergangenheit konnte sie ihm seine gotteslästerlichen Worte nicht verübeln. Da er zum Reden aufgelegt zu sein schien, fragte sie: »Wo liegt Santola?«
Statt ihre Frage zu beantworten, sagte er: »Speist heute Abend mit mir in meiner Kabine, dann werde ich Euch einige Eurer Fragen beantworten. Doch jetzt muss ich gehen und zusehen, wie diese Unholde in Stücke gerissen werden.«
Und damit wandte er sich ab, um zu der Galeere zurückzukehren. Er schien auch gern das letzte Wort zu haben. Aber Jean hätte ohnehin nicht gewusst, was sie zu seinem Vorschlag sagen sollte.
Sie fühlte sich erschöpft, als sie langsam zum Kabinendeck hinunterstieg. Heute Abend musste sie also mit dem Mann, der sie gefangen hielt, zu Abend essen. Zum Glück brauchte sie sich wenigstens nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, was sie anziehen sollte, da sie ohnehin nur ein Kleid bei sich hatte.
11. Kapitel
Adia
Das Leben auf einer jamaikanischen Plantage
D
as Seltsamste am Leben eines Sklaven war, dass es in gewisser Weise ein simples Leben war. Die Sklaven auf Harris Hall kamen aus vielen Ländern, aber zusammen bildeten sie einen neuen Stamm, und Männer, die in Afrika Todfeinde gewesen wären, wurden Freunde. Trotz der unerbittlich harten Arbeit gab es Momente der Freude und Verbundenheit. Kinder arbeiteten mit kleinen Hacken mit, doch in weniger arbeitsreichen Zeiten lachten und spielten sie nicht anders als die freien Kinder der Iske.
Doch es gab auch Schrecken, die alles überstiegen, was Adia sich vor ihrer Gefangennahme hätte vorstellen können. Die Feldarbeit wurde größtenteils von Frauen erledigt, und sie wurden so hart herangenommen, dass nur wenige je Kinder zur Welt brachten. Die Arbeit in der Mühle, wo das Zuckerrohr zerrieben und gekocht wurde, erledigten hauptsächlich Männer, und Verbrennungen und tödliche Unfälle waren dort nichts Ungewöhnliches. Selbst gesunde Körper verbrauchten sich dort in sehr wenigen Jahren.
Dank ihrer schnellen Auffassungsgabe und Neugier lernte Adia von den anderen Sklaven, so viel sie konnte, und lauschte auch aufmerksam ihren Erzählungen von ihren Göttern und magischen Ritualen. Sie merkte, dass das Leben der Haussklaven leichter war, und beschloss daher, eine solche Stellung anzustreben.
Gewöhnlich erhielten neue Sklaven in den ersten zwei, drei Jahren leichtere Aufgaben, um sie für das Leben auf den westindischen Inseln allmählich abzuhärten. Adia näherte sich dem Ende dieses Zeitraums, als eines Tages die Köchin aus dem Herrenhaus erschien, um eine Küchenmagd zu suchen. Adias Lernfähigkeit und hilfsbereites Wesen zahlten sich nun aus, die Köchin entschied sich für sie.
Die Arbeit in der Küche war anstrengend, aber Adia aß gut und lernte die Zubereitung von europäischen Gerichten, nachdem sie von der Küchenmagd zur Jungköchin aufgestiegen war. In ihren Jahren in der Küche wuchs sie zu einer jungen Frau heran und begann, das Interesse von Männern zu wecken. Ihr heißes junges Blut hätte sie bei einigen, die ihr Avancen machten, in Versuchung führen können, aber sie erlaubte sich niemals nachzugeben.
Großmutter hatte ihr klargemacht, dass sie vorsichtig sein musste, weil sie eine Bestimmung hatte. Adia wusste, dass Kinder sie nur noch mehr versklaven würden, doch Großmutters Rat zu befolgen, bescherte ihr auch viele heiße, unruhige Nächte.
Ihr größter Kummer war, dass sie zur Frau wurde, ohne initiiert worden zu sein. Sie konnte das Pulsieren der Magie in ihrem Blut spüren, aber ihre Macht blieb ungeschult und unentwickelt. Das Einzige, was sie zustande brachte, waren ein paar kleinere Beschwörungen und Zaubersprüche. Und obschon einige der Sklaven von Harris Hill bescheidene magische Talente hatten, gab es weder Priester noch Priesterinnen, die sie in das Reich des Geistes hätten einführen können.
Etwas sehr Wertvolles, was Adia lernte, war, die Verehrung ihrer eigenen Gottheiten hinter den Zeremonien der christlichen Religion zu verbergen. Mrs. Harris, die Herrin der Plantage, hielt es für ihre Pflicht, ihre Sklaven zu guten Christen zu erziehen. Obwohl sie wie ihr Ehemann die anglikanische Kirche besuchte, war sie als Katholikin aufgezogen worden und ließ deshalb stillschweigend einen katholischen Priester kommen, um ihre Sklaven in Religion zu unterrichten. Und obgleich die offiziellen Sklaventaufen von anglikanischen Priestern vorgenommen wurden,
Weitere Kostenlose Bücher