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Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)

Titel: Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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Zeitungen, wenn Schiffe aus England eintrafen. Sowie die Familienmitglieder sie gelesen hatten, wurden sie auf einem Tisch im Morgenzimmer aufbewahrt und schließlich einem älteren englischen Freund von Mr. Harris übergeben. Das bedeutete, dass für gewöhnlich Zeitungen in einem Zimmer lagen, das allen Hausangestellten zugänglich war, und niemand sich die Mühe machte, sie zu zählen.
    Adia nutzte die Gelegenheit und lernte durch die Zeitungen sehr viel über England und London. Es schien ein interessanter, wenn auch kalter Ort zu sein. Falls Miss Sophie eines Tages ihre britischen Verwandten besuchte, bekam Adia vielleicht Gelegenheit, das Land zu sehen, das mehr Afrikaner versklavt hatte als andere, in dessen Hauptstadt aber dennoch freie Schwarze lebten.
    Sie war schon drei Jahre Miss Sophies Zofe, als sie eines Nachts beim Ausleihen einer dieser Zeitungen fast erwischt worden wäre. Adia ging sonst nie in das Morgenzimmer, bis sich alle zur Ruhe begeben hatten, doch an diesem Abend waren die Harris' auf einem Ball auf einer benachbarten Plantage. Dummerweise kehrten sie früher zurück als erwartet, während Adia noch in dem Morgenzimmer war. Es war zur Eingangshalle hin offen, und deshalb verbarg sie sich schnell hinter einem Sofa an der Wand, als sie hörte, wie die Haustür geöffnet wurde. Obwohl das Herz ihr vor Aufregung bis zum Hals schlug, sagte ihr der Verstand, dass eine Entdeckung eher unwahrscheinlich war.
    Statt die Treppe hinaufzugehen, betraten Mr. und Mrs. Harris das Morgenzimmer. Der Master zündete mehrere Lampen an und schloss dann den Schrank mit den alkoholischen Getränken auf. Das Klirren von Gläsern verriet, dass er beiden etwas zu trinken einschenkte. Adia machte es sich so bequem wie möglich in ihrem Versteck und bereitete sich auf ein langes Warten vor.
    »Danke, Liebling«, sagte Mrs. Harris. Ein kurzes Schweigen entstand, das mit dem Klirren abgesetzter Gläser endete. »Worüber wolltest du mit mir sprechen?«
    »Joseph Watson hat heute Abend um Sophies Hand angehalten.«
    Mrs. Harris sog scharf den Atem ein. »Aber er kommt aus den Kolonien in den Carolinas!«
    »Sein Antrag dürfte dich nicht überraschen«, meinte ihr Mann. »Der junge Watson und Sophie turteln schon miteinander, seit er in Kingstown eintraf, um seinen Onkel zu besuchen. Hättest du etwas dagegen, dass sie seine Frau wird?«
    Mrs. Harris mochte überrascht sein, aber Adia war es nicht. Miss Sophie hatte viel über den gut aussehenden Mr. Watson gesprochen, seit die beiden sich begegnet waren.
    »Er scheint ein feiner junger Mann zu sein und ist der Erbe eines beträchtlichen Vermögens.« Mrs. Harris seufzte. »Ich bin nicht überrascht, doch ich hatte eigentlich gehofft, dass es lediglich ein Flirt wäre. Ich hasse den Gedanken, dass Sophie so weit fortgeht.«
    »Sie wird mir auch fehlen«, sagte Mr. Harris leise. »Aber es wird auch eine Erleichterung für mich sein, sie fern der Inseln und gut versorgt in einem neuen Heim zu wissen. Du weißt, dass wir am Rande einer Katastrophe stehen, Anna. Die Sklaven sind uns zahlenmäßig überlegen; es kommen zehn von ihnen auf jeden Weißen, der hier lebt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es einen weiteren Aufstand gibt. Ich würde ruhiger schlafen, wenn ich wüsste, dass sich mein kleines Mädchen in einem anderen Land in Sicherheit befindet.«
    Mrs. Harris gab einen erstickten Laut von sich, und Adia spürte, dass ihr Mann tröstend einen Arm um sie legte. Nach einer Weile sagte Sophies Mutter: »Ich weiß, dass du recht hast, und sie wird seinen Antrag auch sicher annehmen, wenn wir ihnen unseren Segen geben. Doch mitunter frage ich mich, ob es nicht für uns alle besser wäre, nach England zurückzukehren.«
    »Um beengt in einem kleinen Haus zu leben und zu versuchen, mit dem Gehalt irgendeines unbedeutenden Regierungsbeamten auszukommen? Ohne große Möglichkeiten für die Jungen und keine reichen Heiratskandidaten für Sophie?« Mr. Harris klang verärgert. »Es ist gefährlich hier, aber Gefahren lauern überall. Auf Jamaika werden wir zumindest gut dafür entschädigt.«
    Adia wusste nicht, ob sie lachen oder Mitleid haben sollte. Das englische Leben, über das Mr. Harris so verächtlich sprach, wäre das Paradies für jeden Sklaven hier auf Harris Hill. Deren Arbeit und Leid erzeugten den Reichtum, der den Harris' »Möglichkeiten« gab. Aus anderer Sicht betrachtet, waren die Harris' jedoch wie alle anderen, die sich Gedanken um ihre Familie machten

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