Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
der Hoffnung, sein Verständnis damit zu erweitern. Die Farben, die sie umgaben - Blau, Gold, Indigo -, waren tief und rein. Nikolai spürte, dass sie für Macht und Wahrheit standen.
»Ich habe mit Tano und anderen Afrikanern hier gesprochen«, antwortete sie. »Es gibt noch drei weitere Priester auf der Insel, eine Frau und zwei Männer. Und obwohl wir von verschiedenen Stämmen sind, haben wir genug gemeinsam, um zusammenzuarbeiten. Wir werden dich auf den Initiationsweg führen.«
»Es gibt Priester auf der Insel?«, fragte Nikolai erstaunt. »Waren sie in Afrika ausgebildet worden, bevor sie von Sklavenhändlern verschleppt wurden?«
»Einer ja. Die beiden anderen lernten in der Sklaverei, ihre Magie auszuüben. Hier haben sie ihre individuellen Fähigkeiten zusammengelegt, um eine eigene magische Tradition für diese Insel entstehen zu lassen.«
»Aber so gut wie alle Inselbewohner sind Muslime oder Christen«, wandte Nikolai verwundert ein. »Wir haben eine Moschee und zwei Kirchen auf Santola.«
»Afrikaner vergessen ihren wahren Glauben nicht«, erklärte Adia geduldig. »Eine Frau mag einen Altar für Oshun bauen und ihn sicherheitshalber mit einer Statue der Jungfrau Maria schmücken, doch wenn sie zu der Mutter betet, ruft sie mehr als die christliche Muttergottes an. Unter dem Deckmantel des Christentums und Islams bewahren wir unsere afrikanischen Traditionen. Wir sind sehr anpassungsfähig.« Sie lächelte ein wenig. »Meine Herrin auf Jamaika glaubte, ein christliches Werk zu tun, indem sie alle Sklaven der Familie zwang, diesen Glauben anzunehmen, aber unser Geist war frei hinter den christlichen Ritualen, auch wenn unsere Körper es nicht waren.«
»Ihr habt also nur so getan, als wärt ihr zum christlichen Glauben übergetreten?
»Keineswegs. Jesus ist eine sehr verehrungswürdige Gottheit, und ich habe gehört, dass Mohammed das auch sein soll. Ein Afrikaner kann vielen Göttern dienen.« Ihre Augen funkelten vor Schalk. »Nur einen Gott zu ehren, wäre doch ein bisschen wenig, oder?«
Nikolai lachte. Seine religiöse Erziehung war gemischt, aber monotheistisch gewesen. Er war auf Malta katholisch getauft worden und später zum Schein zum Islam übergetreten, um sein Leben zu retten. Jetzt merkte er, dass die Vorstellung von der Koexistenz verschiedener Götter ihm gefiel. Oder, besser gesagt, die einer Gottheit mit verschiedenen Gesichtern. »Was werden die Priester von mir verlangen? Und wie soll ich mich darauf vorbereiten?«
Adias Ausdruck wurde wieder ernst. »Ich habe beschlossen, dass du so bald wie möglich beginnen solltest. Je länger du über die Initiation nachsinnst, desto mehr Gedanken werden dich belasten. Es ist besser, dass du die Erfahrung machst, anstatt Vermutungen darüber anzustellen und dich zu sorgen. Heute Nacht wirst du an einem Ritual an dem Versammlungsort der Afrikaner teilnehmen. Danach werden wir Priester dich nach Diabolo bringen und mit deiner Initiation beginnen.«
Diabolo war ein Bestandteil der Caldera, ein unbewohntes Eiland, das der Hauptinsel gegenüberlag. Nur Ziegen grasten auf seinen steilen Hängen. »Und was tue ich dort?«
»Wir werden dir verschiedene Aufgaben stellen, damit du die Natur auf völlig neue Art erlebst. Dein Ziel ist, ein Bewusstsein für andere Arten des Sehens zu erlangen.«
Das klang nicht allzu schlimm. »Wie lange wird die Initiation dauern?«
»Mindestens zwei Wochen, wahrscheinlich jedoch länger.«
Nikolai zögerte. »Ich habe hier Aufgaben. Ich muss die Reparatur meines Schiffes überwachen, und ich habe auch als Vorsteher des Dorfes Verpflichtungen.«
»Bricht hier im Dorf das Chaos aus, wenn du auf See bist?«, entgegnete Adia mit hochgezogenen Augenbrauen. »Was ist dir wichtiger, Captain? Überleg es dir.«
Seine Bedenken schwanden. »Du hast recht. Das Dorf kommt ohne mich sehr gut zurecht, wenn ich nicht da bin, und die Mission, die du mir angeboten hast, ist die wichtigste Unternehmung meines Lebens. Hast du irgendwelche Anweisungen für mich?«
»Ein paar. Es wird nicht leicht sein, Captain. Du hast jahrelang in einer Welt gelebt, in der du nur nach eigenem Willen gehandelt hast. Das musst du ablegen, wenn du die Initiation überleben willst.« Sie seufzte. »Ich wiederhole noch einmal, dass die Initiation gefährlich ist, besonders für einen erwachsenen Mann, der nie unter Afrikanern gelebt hat. Selbst in Afrika kommt es immer wieder vor, dass Jungen sterben oder sich zwischen den Welten verlieren, was
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