Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
lassen, dass sie sich keine großen Sorgen machen müssen. Aber sie sorgen sich natürlich trotzdem. Deshalb schreibe ich ihnen, um sie zu beruhigen, dass es mir gut geht. Louise sagte, in der nächsten Woche oder so müsste es möglich sein, Briefe nach Frankreich zu schicken.«
Nikolai nickte. »Selbst wenn die Justice bis dahin nicht repariert ist, müsste bald ein anderes Schiff einlaufen.«
»Es besteht keine Eile. Ich brauche Zeit für das Verfassen dieser Briefe.« Sie lächelte ein bisschen ironisch. »Es ist nicht leicht zu erklären, dass man von einem rachsüchtigen Piraten verschleppt worden ist, im Grunde aber doch alles in Ordnung ist. Angehörige neigen dazu, Entführungen zu missbilligen.«
»Du hast Angst, dass dein Bruder sich auf die Suche nach dir macht und umgebracht wird?«
»Entweder das, oder dass er dich umbringt«, entgegnete sie spitz. »Du bist ein gefährlicher Mann, Nikolai, aber das ist Duncan auch. Es wäre besser, wenn ihr nicht wie zwei sich bekämpfende Schafböcke zusammenstoßt.«
Er lächelte über das Bild. »Ich habe dir doch schon versprochen, meine Rachepläne aufzugeben.«
»Das hat er dir aber nicht versprochen.« Jean zeigte mit der Feder auf zwei kleine Stapel Briefe. »Ich habe hier zwei verschiedene Arten von Briefen. In den einen habe ich die gegenwärtige Situation beschrieben; die anderen sind Abschiedsbriefe, falls wir beide in eine andere Zeit verschwinden. Wenn das geschieht, werden wir wahrscheinlich nicht mehr in dieses Jahr zurückkehren, selbst wenn wir erfolgreich sein sollten. Meine Familie soll dann wissen, dass ich diese Mission freiwillig angetreten habe und froh über eine Chance bin, der Gerechtigkeit zu dienen.« Ihr Lächeln war ein bisschen angestrengt. »Dass ich als wahre Wächterin in den Tod gegangen bin.«
Nikolais Blick richtete sich wieder auf die Aussicht vor dem Fenster. »Es ist schwer, in einer solch friedlichen und schönen Umgebung an den Tod zu denken.«
»Der Tod kann einen sogar in einem Wohnzimmer ereilen.«
»Oder auf einer unbewohnten Insel. Adia und die anderen Priester bringen mich nach Diabolo, einem kleinen Eiland auf der anderen Seite der Caldera. Das dürfte ... interessant werden.« Er kam durch das Zimmer zu ihrem Tisch hinüber. »Falls wir uns in diesem Leben nicht mehr sehen sollten, wünsche ich dir für deine Zukunft Frieden, Jean Macrae.« Nikolai beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie, nicht mit der Leidenschaft wie vorher am Strand, sondern eher mit wehmütiger Zärtlichkeit. Sein Mund war warm und einladend.
»Ich will keinen Frieden«, flüsterte Jean und blinzelte, um ihre Tränen zurückzudrängen. »Ich will eine Aufgabe. Herausforderungen. Etwas Sinnvolles in meinem Leben.« All die Dinge, die bei Nikolai Gregorio so klar erkennbar waren.
Sie stand auf, um den Kuss zu erwidern, und schlang ihm die Arme um den breiten Rücken. Ihre Lippen waren sanft und zärtlich, als sie versuchte, ihm mit ihnen zu übermitteln, was sie nicht in Worte fassen konnte. Sie spürte die gleiche Sehnsucht und Besorgnis auch in ihm. Sie waren einen großen Schritt weitergekommen seit ihrer leidenschaftlichen Umarmung an dem schwarzen Sandstrand, und Jean fühlte sich Nikolai jetzt sogar noch näher als in jenen aufregenden Augenblicken.
Einen verrückten Moment lang dachte sie daran, mit ihm zu schlafen, um wenigstens diese Erinnerung zu haben, falls es ihm nicht gelang zurückzukehren, aber ihre innere Stimme sagte ihr immer noch, dass diese Intimität jetzt völlig falsch wäre. Nicht bereit, sich damit abzufinden, dass sie sich vielleicht nie wieder begegnen würden, erklärte sie schnell: »Du wirst zurückkommen, Nikolai. Mitgenommen, erschöpft und auf eine Weise verändert, die wir nicht vorhersagen können - aber du wirst wiederkommen.« Sie schaffte es, sich ein spitzbübisches Lächeln abzuringen. »Weil es zwischen dir und mir noch unerledigte Angelegenheiten gibt.«
22. Kapitel
N
ikolai verbrachte den Rest des Tages damit, so viele Dinge wie nur möglich zu erledigen. Die Arbeit hielt ihn davon ab, zu viel zu grübeln. Er schaffte es sogar, sich so in seine Rechnungsbücher zu vertiefen, dass er überrascht war, als Tano bei Einbruch der Dunkelheit im Haus erschien. Mit nichts als einem Lendenschurz bekleidet und Perlenketten um den Hals, seine dunkle Haut so glänzend, als hätte er sich eingeölt, stand sein Freund auf einmal in der Tür.
Nikolai blinzelte erstaunt. »Bin ich zu ... angezogen
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