Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
begann, die Höhle zu erfüllen. Nikolai hustete, blinzelte und merkte, dass auch schon das subtile Glühen von Magie den Raum erfüllte.
Nachdem sie sich von dem Feuer abgewandt hatte, zog Adia ihre Begleiter in einen Kreis. »Du musst nun die fehlenden Teile deiner Seele finden, Captain. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um dich auf den rechten Weg zu bringen, aber letztendlich ist diese Reise eine, die du ganz allein antreten musst. Ich denke, es ist möglich, dass du sie erfolgreich hinter dich bringen kannst, denn sonst würde ich es nicht erlauben.«
Das war keine besonders enthusiastische Einschätzung seiner Erfolgsaussichten. »Ich bin mir des Risikos bewusst«, sagte er und sah die Priester einen nach dem anderen an. »Sollte ich nicht überleben, will ich nicht, dass ihr euch verantwortlich fühlt für etwas, wozu ich mich aus freiem Willen entschlossen habe.«
Die angespannte Atmosphäre lockerte sich ein wenig. Auf ein Zeichen von Adia begann der jüngere Priester, eine Metallglocke mit einem tiefen, hohlen Ton zu läuten. Die anderen Priester schüttelten eine aus einer getrockneten Kalebasse hergestellte Rassel, während der ältere Priester in einer fremden Sprache leise sang. Nikolai hatte in ihm inzwischen den befreiten Galeerensklaven namens Omar erkannt. Der Mann war überaus dankbar gewesen, seine Freiheit und ein neues Zuhause zu gewinnen. Er hatte sich als Bauer auf Santola niedergelassen, aber nie erwähnt, dass er ein Priester war.
Die primitive Musik war merkwürdig bezwingend, und Nikolai merkte, dass er sich zu ihrem Klang bewegte und seine Gedanken abschweiften und verschwommen wurden, während er den beißenden Rauch einatmete. Adia begann ebenfalls zu singen, mit tiefer, volltönender Stimme. Aus den Augenwinkeln nahm Nikolai Bewegungen wahr und sah, dass die kleinen Wesen von der Musik wieder angezogen worden waren. In der Nacht zuvor hatte er sie unheimlich gefunden, heute jedoch empfand er sie als ... irgendwie natürlich.
Während die Rhythmen von den steinernen Wänden der Höhle widerhallten, öffnete Adia ihre Medizintasche und zog eine Ansammlung von Gegenständen daraus hervor, die sie auf den Boden legte. Steine, Kiesel, Federn und seltsamere Dinge, die Nikolai nicht bestimmen konnte. Als er seine Augen verengte, erkannte er jedoch, dass alle vor Zauberkraft glühten, einige heller als andere.
Der letzte Gegenstand, den Adia zutage förderte, war ein blank polierter, ypsilonförmiger, etwa fünfzig Zentimeter langer Stock, der von einem violetten Feuer glühte.
Ohne ihren Gesang zu unterbrechen, hob sie den Stock auf und hielt ihn hoch. Omar legte seine Hand über der ihren um das Holz, und der Stock schoss in die Höhe, als würde er von unsichtbaren Kräften losgeschleudert. Er drehte sich einmal um sich selbst, bevor er wieder herunterfiel und zwischen den auf dem Boden liegenden Zaubermitteln einen Kieselstein berührte.
Adia nickte, legte den Stein beiseite und sprach eine Formel, die den Stock wieder in die Höhe schnellen ließ. Nach einer weiteren Drehung traf er beim Herunterkommen auf einen kleinen Fingerknochen. Der wurde zu dem Stein gelegt. Das Ritual wiederholte sich ein halbes Dutzend Mal. Nikolai bemerkte, dass die ausgewählten Gegenstände die mit dem stärksten magischen Leuchten waren.
Von dem beißenden Rauch wurde ihm allmählich schwindlig, und er hatte keinerlei Gefühl dafür, wie viel Zeit mit dem Ritual verging. Minuten? Stunden? Irgendwann bewegte sich der Stock nicht mehr, als Adia zu ihm sprach. Omar ließ ihn los, und Adia verbeugte sich respektvoll vor dem Stock, bevor sie ihn wieder in ihre Tasche steckte. Das Geläut der Glocke und Rassel verlangsamte sich, um schließlich ganz zu verstummen, und in der Höhle wurde es wieder still.
Adia hob die ausgesuchten Gegenstände auf und legte sie in einen kleinen Lederbeutel mit aufgemalten Symbolen an der Seite. Mit Nadel und Faden aus ihrer Tasche nähte sie den Beutel zu und befestigte ihn an einem Lederriemen. Dann ging sie zu Nikolai und legte ihm den Riemen um den Hals. »Zu deinem Schutz.«
Sie trat wieder zurück. »Die Zeit ist da für deine erste Prüfung. Es wird eine beschwerliche und schmerzhafte sein, aber es ist noch nicht zu spät, um dich eines anderen zu besinnen. Überleg es dir gut, Captain. Auf den Meeren und hier auf Santola hast du viel erreicht. Mit der Initiation riskierst du, alles zu verlieren.«
Ihre Stimme beschwor unheimliche Bilder von Unheil
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