Die starken Fesseln der Sehnsucht: Roman (German Edition)
und Heimsuchungen herauf. Für einen kurzen, schrecklichen Moment sah sich Nikolai hilflos zwischen schreienden Dämonen gefangen. Zum ersten Mal sagte ihm sein Gefühl, dass er wirklich sterben könnte, wenn er weitermachte. Er hatte ein gutes Leben, eine sinnvolle Aufgabe. Warum das alles wegwerfen?
Weil er es sich nie verzeihen würde, wenn er zu feige wäre, diese einmalige Chance wahrzunehmen, etwas zur Beendigung der Sklaverei zu tun. Er hatte sich schon viele Male in Gefahr begeben. Die Gefahr dieser Reise ins Ungewisse war beängstigender als jede Klinge oder Kanone, aber es ging um so viel, dass das Risiko sich lohnte. »Ich möchte weitermachen.«
Adia nickte mit besorgter Miene. »Also gut.«
Mit einem Dolch in der Hand trat Omar vor. »Halt still«, sagte er, schob Nikolais linken Ärmel bis zum Ellbogen hinauf und zog dann schnell die scharfe Klinge über seinen Unterarm.
Nikolai zuckte zusammen, sagte aber nichts, nicht einmal, als Omar eine brennende Flüssigkeit in die Wunde rieb. Dann trat der ältere Mann zurück. »Zum Schutz gegen Feuer.«
Feuer? Die vier Priester stellten sich in einer bestimmten Anordnung um Nikolai auf. Selbst unter der Erde spürte er, dass sie ihre Plätze nach den vier Himmelsrichtungen einnahmen. Dann sagte Omar mit tiefer, dröhnender Stimme: »Erfahre das Feuer!« Er warf die Hände hoch, und blaue Flammen schossen aus der Erde auf und umringten Nikolai.
Er schnappte entsetzt nach Luft, als die Flammen seine Kleider, sein Haar und Fleisch verzehrten. Außerstande, den Schmerz zu ertragen, stolperte er aus dem Feuerkreis heraus - und fand sich in einem fremdartigen, sonnenverbrannten Land wieder.
Jean beendete gerade einen Brief an ihren Bruder und seine Frau, als ein so heftiger Ruck durch ihre Hand ging, dass sie das Papier mit Tinte bekleckste. Nikolai! Obwohl sie gewusst hatte, dass Initiationen gefährlich waren, hatte sie nicht damit gerechnet, dass er so schnell in Gefahr sein würde. Oder dass die Gefahr so schwer bestimmbar war.
Vorsichtig, um nicht noch mehr Tinte zu verspritzen, legte sie die Feder weg und schloss die Augen.
Sie war mit Nikolai verbunden gewesen, seit sie sich begegnet waren, doch nun war diese Verbindung unterbrochen. Er war wie ausgelöscht aus ihrem Bewusstsein. Mit wild pochendem Herzen und wachsender Verzweiflung suchte sie nach ihm.
Nichts.
Jean zwang sich, sich zusammenzunehmen, bevor sie die Kontrolle über sich verlor. Er unterzog sich einer magischen Initiation, umgeben von afrikanischen Priestern, und es war gut möglich, dass das Ritual ihn vor ihrer eigenen Magie abschottete.
Adia hatte geglaubt, Nikolai habe eine gute Überlebenschance. Und falls sie sich geirrt hatte und Nikolai tot war - nun, dann würden die Priester ihr die Nachricht schon bald überbringen.
Da nicht länger eine Verbindung zwischen ihr und Nikolai bestand, war es ihr nicht einmal mehr möglich, ihm etwas von ihrer Energie zu übermitteln. Sie konnte nichts anderes tun, als es mit der ältesten Magie von allen zu versuchen.
Jean faltete die Hände, schloss die Augen und betete, dass Nikolai irgendwie und irgendwo am Leben und wohlauf war.
23. Kapitel
F
assungslos ließ Nikolai den Blick über die sonnenüberflutete Ebene schweifen, die sich in alle Richtungen erstreckte. Die Höhle und die Priester waren verschwunden, und die grelle Sonne brannte auf ein Land herunter, das völlig flach und von verdorrten Gräsern bedeckt war. Die wenigen Bäume hier und dort waren merkwürdig geformt, und ihre ausladenden Äste erinnerten an Schirme.
Bis auf den Lederbeutel um seinen Hals war Nikolai nackt. Er sah noch die letzten blauen Flammen auf seinem Unterarm erlöschen. Nikolai hatte gespürt, dass er verbrannte, seine Haut und Haare waren jedoch völlig unversehrt. Befand er sich wirklich an einem anderen Ort, oder war dies alles nur ein Traum? Nein, das konnte eigentlich nicht sein, überlegte Nikolai, denn die Schnittwunde, die Omar ihm am Unterarm beigebracht hatte, brannte immer noch.
Ein leichter Wind strich über die Ebene und brachte seinem nackten Körper einen Hauch von Kühle, der die Sonnenhitze ein wenig linderte. Was zum Teufel tat er hier? Welche Aufgabe sollte er an diesem Ort erfüllen?
Er fühlte sich schrecklich schutzlos und wünschte, er hätte eine Waffe und Kleidung, und zwar genau in dieser Reihenfolge. Und einen Ort, wo er Unterschlupf finden konnte, aber die öde Landschaft bot nicht den geringsten Schutz.
Was
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