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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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stellte sich ans Fensterchen ihres Zimmers und betrachtete stundenlang die Baumskelette in der Hoffnung, dass sich endlich grüne Knospen zeigten. Sie lechzte so sehr nach dem Frühling und dem Sommer, wie sie sich danach sehnte, bei ihm zu sein. Großmutter sagte immer, in Bombay gebe es nur zwei Jahreszeiten: neun Monate Sommer und drei Monate Monsun. Das einzige Wort, das man in Bezug auf beide Jahreszeiten verwenden konnte, war „ertrinken“. Im Sommer ertrank man im eigenen Schweiß. Während des Monsuns ertrank ganz Bombay im ununterbrochenen sintflutartigen Regen. Dann kam Eddie der Gedanke, dass nicht nur Belles Wortschatz, sondern auch ihr Akzent sich geändert haben könnte. Aus irgendeinem Grund, den er selbst nicht hätte angeben können, fühlte er sich mit einem Mal verunsichert. Ein Upper-Class-Akzent, befürchtete er, würde einen größeren Abstand zwischen ihnen erzeugen, als es die räumliche Trennung bisher vermocht hatte.
    Unglücklicherweise hatte Eddie wenig Gelegenheit, sich über dieses Detail zu grämen. Eines Tages kam der letzte Brief – und dann keiner mehr. Er wartete vierzehn Tage und dann noch eine weitere Woche. War Belle krank, hatte sie einen Unfall gehabt? Wollte sie ihn überraschen, indem sie am nächsten Morgen vor der Tür stehen würde? Aber niemand klopfte an, noch kam ein einziges Wort aus London. Er wartete; er wartete wider jedes Gefühl in seinen Eingeweiden noch eine weitere Woche ab. Was, wenn es in London einen Poststreik gab? Seine Mutter hatte Belle nie leiden können – was, wenn sie ihre Briefe zerriss? Was, wenn das Flugzeug mit der Post an Bord abgestürzt war? Dennoch war er kein Nachrichten-Junkie wie seine Schwester, und Belle würde ihm bestimmt noch einen Brief schicken! Als der jedoch nicht kam, musste selbst er einräumen, dass es ein bisschen viel der Selbsttäuschung gewesen wäre, anzunehmen, ein weiteres Postflugzeug sei abgestürzt.
    Er ging zum Hauptpostamt und meldete ein Blitzgespräch nach London an. Belles Wirtin war am Apparat, genauso mürrisch und reizbar, wie Belle sie in ihren Briefen geschildert hatte. Wer sind Sie? Warum wollen Sie wissen, wo Belle ist? Warum sollte ich Ihnen glauben? Woher weiß ich, dass Sie wirklich aus Indien anrufen?
    â€žIch will Belle lediglich Hallo sagen und fragen, wie es ihr geht. Das ist alles. Würden Sie sie bitte runterrufen?“
    â€žKann ich nicht.“
    â€žWarum nicht?“
    â€žWeil sie nicht mehr hier wohnt.“
    Eddie wäre am liebsten auf der Stelle nach London geflogen, um der alten Dame den Hals umzudrehen, aber er war so klug, seinen Jähzorn zu zügeln.
    â€žKönnten Sie dann so liebenswürdig sein, mir Belles neue Adresse und Telefonnummer zu geben?“
    â€žSie hat keine Nachsendeadresse oder Telefonnummer hinterlassen. Und nur dass Sie es wissen, selbst wenn sie es getan hätte, würde ich sie einem Taugenichts wie Ihnen garantiert nicht geben!“
    Log ihn die alte Schachtel an? Dann hätte Eddie wenigstens noch etwas Hoffnung gehabt, aber sie schien die Sorte Mensch zu sein, der es ein besonderes Vergnügen bereitete, die Wahrheit zu sagen, solange sie möglichst unerfreulich war.
    Keine Adresse oder Telefonnummer hinterlassen? Warum sollte Belle das tun? Aber wichtiger noch – warum hätte Belle ihn nicht über ihren Wohnungswechsel informieren sollen? Wie oft hatte er ihr geraten, sich etwas Netteres zu suchen, mit einer freundlichen oder zumindest zurückhaltenderen Vermieterin?
    Eine weitere Woche zwischen Hoffen und Bangen, und Eddie knickte ein. Wider besseres Wissen ging er zu den McIntyres. Mrs McIntyre öffnete die Tür, bat ihn aber nicht herein.
    â€žWilliam, du solltest besser mal herkommen, Eddie Coutinho steht vor der Tür.“
    Wovor hat Belles Mutter Angst, fragte sich Eddie, dass ich eindringe und die Umzugskartons, Holzkisten und Koffer stehle, die seit zehn Jahren und mehr hier herumstehen?
    â€žHallo, Eddie. Was führt Sie heute hierher?“ William McIntyre stellte sich neben seine Frau.
    â€žIch habe seit einiger Zeit nichts mehr von Belle gehört und wollte wissen, ob Sie Neuigkeiten von ihr haben?“
    â€žEs geht ihr gut, wirklich sehr gut. Sie ist befördert worden und in eine bessere Wohnung umgezogen.“
    â€žMeinen Sie, Sie könnten mir ihre neue Adresse geben?“
    â€žMeinen Sie nicht, dass,

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