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Die Staufer und ihre Zeit

Die Staufer und ihre Zeit

Titel: Die Staufer und ihre Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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Bücher erkannte und den Text nutzte, war ein gewisser Irnerius, zu Deutsch Werner, womöglich war er wirklich ein Deutscher. Der Bologneser war damals – so heißt es in Überlieferungen – schon Berater des Saliers Heinrich V. und hatte offenbar ein gutes Gespür für die Fragen der Zeit. Das hochdifferenzierte Römerrecht, das war schnell klar, eignete sich nicht nur, die Rechtsverhältnisse der jungen Vormoderne zu bearbeiten –
es war auch politisch hochwillkommen. Denn Römerrecht war Kaiserrecht, genau das, was die Staufer jetzt brauchten, ihrem Machtanspruch die Weihen und die Legitimationsgrundlage des antiken Caesarenreichs zu geben.
    Die Translatio Imperii, die Übertragung des antiken römischen Reichs auf das westeuropäische, deutsch geführte Kaiserreich war der Tradition zufolge mit dem Akt der Krönung Karls des Großen durch den Papst gesichert. Aber das war eine wacklige Grundlage zum Regieren. Die Digesten waren da das lange gesuchte Update. Sind wir nicht alle ein bisschen Römer?
    Irnerius entwickelte eine Methode, mit Randbemerkungen zum alten Text das römische Recht auf Höhe der neuen Zeit zu bringen: Die Kritzeleien, auch Glossen genannt, begründeten eine eigene wissenschaftliche Schule, die Schule der Glossatoren. Vier junge Glossatoren, Schüler des Irnerius, waren die ersten Doctores, Professoren, die den Studenten von Bologna das neue Recht vermittelten – und immer neue Glossatoren und Glossen entstanden, ein neuer Kosmos des Rechts entwickelte sich in den Mauern der reichen und von der Kirche unabhängigen Stadt, die schon damals »la grassa«, die Fette, hieß und Wissenschaftler aus ganz Europa anzog.
    Die Bologneser haben es damals geschafft, zum Mittelpunkt zu werden. Es war kein Zufall, sondern kluges Marketing, dass Barbarossa sich mit seiner Grundsatzfrage über die rechtlichen Grundlagen seiner Macht bei zwei Bologneser Doktoren erkundigte. Er hätte anderswo kaum so guten Rat bekommen. Schon bald hatten die cleveren Stadtväter ihren Doctores einen Eid abgenommen, ihre Erkenntnisse nirgendwo anders als in Bologna zu lehren. Und der Kaiser bedankte sich mit der »Authentica Habita«, einem Privileg, das Bologneser Rechtsstudenten unter den besonderen
Schutz ebenjener kaiserlichen Gewalt stellte, die man hier so trefflich zu kommentieren wusste.
    Bald ging im Hause Staufen ohne die vier Doctores nichts mehr. Auffällig juristisch ging es beispielsweise im Sommer 1158 zu, als Friedrich sich anschickte, das eigensinnige Mailand zu erobern, um ihm seine Regeln aufzudrücken. Statt einer Kriegserklärung lieferte der Kaiser in einer längeren Rede eine Rechtserklärung: warum, von Rechts wegen, Gewalt nun leider, leider nicht vermeidbar sei. Im Hintergrund, so berichten Zeitgenossen, hätten sich die vier Doctores herumgedrückt, als Friedrich erläuterte, die Mailänder hätten sich durch ihren rebellischen Ungehorsam des Majestätsverbrechens schuldig gemacht. Es fand ein Strafprozess statt, in dem Mailand förmlich geladen und verurteilt wurde.
    Die spinnen, die Römer. Majestätsverbrechen ist ein Tatbestand des antiken Kaiserrechts, das haben sie in Bologna ausgegraben. Und die Idee, Mailand nicht zu besiegen, sondern zu bestrafen, ist reichlich abgefeimt: Verbrecher bestraft man im eigenen Lande, Kriege führt man gegen fremde Länder. Friedrichs Vorgehen bewies, was zu beweisen er sich vorgenommen hatte: dass Mailand höchst eigenes Gebiet des Kaisers ist und kein Ausland. So erlebte die Weltgeschichte, worüber Verfassungsrechtler auch in Deutschland heutzutage heftig streiten: den Einsatz militärischer Macht zu innenpolitischen Zwecken.
    Die Politikberatung der Bologneser Juristen kulminierte wenige Monate später, im November 1158 beim Reichstag von Roncaglia. Hier, in einem prächtigen Feldlager bei Piacenza, setzte der Kaiser eine ganze Reihe neuer Gesetze durch, mit denen er seine Macht auch südlich der Alpen festigen wollte. Die Gesetze von Roncaglia werden von Historikern als Neubegründung des Kaisertums auf der Basis römischer Vorbilder gesehen. Zum Gesetzespaket gehörte so ein Recht
des Kaisers, Kopfsteuern und Grundsteuern zu erheben, das Recht der Gerichtsbarkeit, beides zusammen die Gründung einer Hoheitsgewalt, die an die moderne Staatsgewalt denken lässt. Bin ich der Herr der Welt? Jawohl, Caesar, du bist der Herr.
    »Elende Bologneser«, so lauten die Flüche in den Urkunden konkurrierender Rechtsschulen, die es nicht geschafft hatten, so warm im

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