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Die Staufer und ihre Zeit

Die Staufer und ihre Zeit

Titel: Die Staufer und ihre Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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Nabel der Macht zu baden. »Schande und Schimpf«, so vermutete die Frankfurter Digesten-Expertin Marie Theres Fögen in einem Aufsatz von 2006, hätten die kaisertreuen Juristen sich gar von großen Teilen der damaligen Zunft zugezogen: Das römische Recht für ein Pferd an die Mächtigen zu verraten, habe außerhalb Bolognas als standeswidrig gegolten. »Wer etwas vom römischen Recht hält«, so fasste die kritische Forscherin ihre Erkundungen der damaligen Stimmung zusammen, »hält sich fern vom Kaiser.«
    Auch Bologna hielt auf Distanz und trat 1167 sogar dem Lombardischen Städtebund gegen den Kaiser bei. Die mächtigen Familien der Metropole genossen die Gunst der Stunde. Dem Kaiser nahe durch den Geist der Doctores, aber vor seiner Macht geschützt: Besser konnte man es nicht haben. Ihr Wohlgefühl, demnächst die Nachfolge Roms anzutreten, unterstrichen die Bologneser mit der Errichtung immer neuer, immer höherer Türme in ihrer Stadt, ein Protz-Wettbewerb, der um 1300 mit dem Torre der Asinelli-Familie endete, dem mit 94,5 Metern damals höchsten Bauwerk des christlichen Erdenkreises.
    Das Bündnis von Kaiser und Doktoren funktionierte. Die Zusammenarbeit, analysiert der Rechtshistoriker und Staufer-Experte Gerhard Dilcher, habe »das größte gesetzgeberische Ereignis des hohen Mittelalters« hervorgebracht, ja den Anfang von Recht überhaupt. Auf der Grundlage des Rechts
von Roncaglia entstand, so Dilcher, die erste »dauerhafte, gleichbleibende, schriftlich fixierte Legitimationsgrundlage« für die Ausübung hoheitlicher Macht – und damit das Fundament der Organisation, die später, zu Beginn der Neuzeit, einmal Staat heißen würde.
    Erstmals gab es eine Möglichkeit, politischen und sozialen Streit ohne Waffen zu entscheiden: durch den Einsatz von Juristen. Das »Corpus Iuris Civilis«, das Konvolut der in Bologna aus dem Römerrecht herausgefilterten und in Roncaglia vervollständigten Gesetze, fünf fette Folianten, wurde zum Standardbrevier des Rechtsverkehrs in Deutschland, Spanien, den Niederlanden und Frankreich. Bis ins 17. Jahrhundert hinein galt das Bologneser Recht überall – im Zweifel. Wenn rechtliche Probleme mit Hilfe der regionalen Sitten und Gebräuche nicht mehr zu lösen waren, wenn der Rat der Stadt, der Dorfälteste nicht weiterwusste, ging die Suche nach einem Profi-Richter los. Das war ein Studierter, einer, der in Bologna war und dort die Vorlesungen der Männer gehört hatte, die mit dem Kaiser ritten.
    So entstand Rechtswissenschaft. An der Lektüre der Digesten-Kommentare aus Bologna entzündete sich, so der Historiker Johannes Fried, »das rechtswissenschaftliche Denken des Abendlandes«. Ein profaner Intellektuellen-Stand entwickelte sich auch in deutschen Städten: die Cliquen derer, die, aus Bologna zurück, nun die »neue Sonne der Gerechtigkeit« (Fried) in ihrer Heimat scheinen ließen. Als Advokaten, Syndici, Räte besetzten sie alsbald die gutdotierten Beratungsposten der aufblühenden Merkantilgesellschaft: Bologna wurde vom 13. Jahrhundert an zur Kaderschmiede einer neuen Avantgarde, eines europäischen Bürgertums.
    Dass diese Avantgarde ihre Wissenschaft nur unabhängig von Politik und Kirche betreiben konnte, war den Doctores von Bologna trotz aller Verdächtigungen klar: Sie ließen sich
zwar vom Kaiser mal ein Pferd schenken, mehr aber auch nicht. Die Studenten und ihre Lehrer organisierten sich unter dem Schutz kaiserlicher Privilegien genossenschaftlich als »Universitas«, als unabhängiges kleines Universum der Wissenschaft. Immer wieder versuchten Stadt und Kirche, sich in die Freiheit der Forschung einzumischen – vergebens. Einmal gab es sogar eine Prügelei mit dem Erzbischof um die Frage, wer den Studenten die Prüfungen abnehmen durfte.
    Finger weg von der Wissenschaft: Das Prinzip der gelehrten Freiheit nach dem Bologna-Muster der »Universitäten« setzte sich auch auf der anderen Seite der Alpen, etwa in Prag und Heidelberg, allmählich durch, wurde zum Organisationsmodell von Wissenschaftsfreiheit: Die »Uni« ist eine Erfindung aus der Stadt der Türme.
    Erst 1563 gelang es dem Papst wieder, über das Denken der Bologneser Doktoren die Oberhoheit zu gewinnen: Er spendierte den Studenten das erste Hörsaalgebäude, einen prächtigen Renaissancepalast, in dem bis heute die knapp 100 000 Studenten der Uni die Handschriften des Mittelalters an großen Holztischen studieren können. Über die Lehre wachte damals ein päpstlicher Legat, die

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