Die Staufer und ihre Zeit
der Mittelalter-Experten des 21. Jahrhunderts. Eine Jahrtausendfrage.
Was sagt man, wenn der Kaiser so etwas fragt? Die Auskunft des mitreitenden gelehrten Doktors Martinus aus Bologna lautete: »Jawohl, Ihr seid der Herr der Welt.« Sein Kollege, Doktor Bulgarus, aber sagte es etwa so: »Das kommt drauf an.« Denn: »Betrachtet man die Herrschaft als etwas Politisches, dann seid Ihr, o Herr, der Herr der Welt. Geht es aber um die Verfügungsgewalt über Hab und Gut Eurer Untertanen, so habt auch Ihr das Privateigentum zu respektieren. « Das Ganze natürlich auf Latein.
Zwei Juristen, zwei Meinungen, schon damals ging das los. Es ist verständlich, dass Friedrich die Meinung des Martinus lieber hörte. Und die Überlieferung, wonach er Martinus und nicht Bulgarus gleich darauf sein edles Pferd schenkte, wird von kritischen Historikern auch heute vereinzelt als früher Beleg für die Korruptionsanfälligkeit regierungsnaher Juristen gesehen.
Doch die Geschichte vom geschenkten Gaul lässt zugleich ahnen, welche Macht und welchen Einfluss damals Männer hatten, die niemandes Herr waren, nicht gekrönt und nicht gesalbt, sondern studiert. Die juristische Wissenschaft betrat zu Zeiten des Staufer-Kaisers, das ist nicht übertrieben, die
Bühne der Weltpolitik. Juristen begannen Geschichte zu machen. Damals, so sagen Rechtsgeschichtler heute, habe die Macht ein Bündnis mit dem Recht geschlossen. Von da an war es nicht mehr der Kirche überlassen, die Welt zu ordnen – das taten jetzt die Doctores aus Bologna.
Der Nabel der immer moderner werdenden Welt schien sich darum in der Stauferzeit von Rom in die oberitalienische Metropole zu verschieben, die sich schon damals auszeichnete durch »lebhaften Verkehr der kräftigen, zumal in ihrer weiblichen Hälfte wohlgebildeten Bevölkerung« – wie das später im besten Juristendeutsch Hermann Fitting, ein berühmter Rechtshistoriker des 19. Jahrhunderts, rühmen sollte.
Zur wohlgebildeten männlichen Hälfte gehörten nicht nur die Ratgeber Barbarossas, dort in Oberitalien arbeiteten und lehrten die Meister der Erklärung der Welt durch Recht. Die Universität von Bologna, eine Gründung aus dem Jahr 1088, galt zu Stauferzeiten als juristische Eliteschule, aus ganz Europa schickten reiche Eltern ihre Kinder, damit sie am Geist der neuen Zeit teilhaben konnten. Ihre besten jungen Männer statteten auch die Städte in Deutschland mit genug Geld aus, dass sie jenseits der Alpen genug lernten, um dem Rat daheim die Welt zu erklären, die doch so kompliziert geworden war.
Europaweiter Fernhandel hatte eine neue Geldwirtschaft mit Krediten und Banken entstehen lassen, die Arbeitsteilung entwickelte sich und mit ihr das Vertragswesen: Kapitalgeber und Kapitalnehmer, Kaufmann und Spediteur, in Oberitalien waren es vor allem die Seidenraupenzüchter, Seidenweber, Seidenhändler, Schneider, Modeagenten. In den Städten entwickelte sich beiderseits der Alpen eine Hochfinanz, Multis des Mittelalters, unter ihnen auch führende Kirchenleute, wuschen ihre Hände in der Unschuld des alten regionalen
Gewohnheitsrechts, das für so raffinierte grenzübergreifende Verhältnisse nicht gemacht war.
Die in Bologna hatten etwas in der Hand, womit sich alle Fragen beantworten ließen: Ein 500 Jahre altes Manuskript war auf bis heute nicht ganz geklärten Wegen aus Byzanz über Amalfi nach Bologna gelangt. Das war eines der letzten erhaltenen Exemplare der Gesetzessammlung des oströmischen Kaisers Justinian aus dem Jahr 533, ein Relikt aus der Antike.
Das »Corpus Iuris Civilis« war ein Schnipselwerk. Die Rechtsgelehrten des römischen Kaisers hatten im 6. Jahrhundert das ganze Gestrüpp von Dekreten, Urteilen, Fallentscheidungen und Gelehrtenkommentaren aus dem alten Römischen Reich in Stücke geschnitten und die Papiere in unendlich vielen kleinen Häufchen auf dem Boden von byzantinischen Bibliothekssälen neu geordnet und geklebt. So entstand die größte systematische Rechtssammlung der Weltgeschichte: Die Digesten, wie das Klebe-Recht auch genannt wurde, hielten das oströmische Reich zusammen. Im Westen, unter dem Einfluss der römischen Kirche und den Wirren der Völkerwanderung, war das geniale Werk hingegen fast vergessen. Im Machtbereich der deutschen Kaiser galt germanisches Recht, Gewohnheitsrecht. Städte und regionale Fürsten schufen ihre eigenen Gesetzbücher.
Die Entdeckung der alten Handschrift in Bologna änderte das schnell. Der Erste, der die Brauchbarkeit der 50
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