Die steinerne Pforte
mit gesenkten Köpfen vor einem vierten niederknieten, der seine Hand über sie hielt.
»Das ist das Wappen der Bildermacher-Gilde«, erklärte Baltus. »Die Figur rechts ist der heilige Lukas, unser Schutzpatron. Er segnet drei Vertreter unserer Zunft: den Spiegelfabrikanten, den Illuminator und den Maler. Die Gegenstände unten auf dem Boden sind leicht zu erkennen: ein Spiegel, ein illustriertes Buch und Pinsel. Ich für meinen Teil«, fügte er stolz hinzu, »gehöre zur dritten und edelsten Gruppe, der der Maler.«
Samuel, der durchgefroren war bis auf die Knochen, spürte, wie ihm auf einmal warm wurde. Die Gilde der Bildermacher! Er war bei einem Maler gelandet!
»Das ist ja hervorragend«, entfuhr es ihm.
»Nicht wahr?« Baltus räusperte sich. »Schätzt Ihr die Malerei?«
»Ich . . . ja, sehr!«
»Dann lasst uns hineingehen!«
Er stieß die Tür auf, und der Geruch, den Sam schon bei seiner Ankunft bemerkt hatte, verstärkte sich. Auf einem großen Tisch befanden sich Becher, Pinsel und Mörser, um Farben anzumischen, und verschiedene Werkzeuge, die der Vorbereitung der Leinwände dienten. Zu beiden Seiten des hohen Fensters gab es zwei Staffeleien. Auf der einen lehnte ein unvollendetes Porträt von Yser. Weiter rechts, dort wo der Geruch am stärksten war, standen auf einem kleinen Ofen Kessel von unterschiedlichster Größe, gefüllt mit schwarzen, zähen Flüssigkeiten.
»Das sind meine Lacke«, erklärte Hans, »wenn es Euch interessiert, kann ich Euch die genaue Rezeptur geben. Und das Bild dort drüben, an dem ich gerade arbeite, ist ein Porträt meiner Tochter. Der Graf hat einen Wettbewerb ausgeschrieben, um innerhalb der Gilde denjenigen auszuwählen, dem er die Ehre zuteil lassen wird, das Porträt seiner jungen Gemahlin anzufertigen. Ich wage zu hoffen, mein bescheidenes Werk findet seine Aufmerksamkeit.«
»Sie ist wundervoll anzusehen«, hauchte Sam, wobei er allerdings eher das Modell selbst meinte als dessen bildliche Darstellung.
»Umso besser, umso besser. Zumal eine hübsche Summe in Aussicht steht, die meinen Geschäften gut zupass käme. Ich muss es allerdings schaffen, rechtzeitig fertig zu werden. So, da sind wir!«, fuhr er fort und ging auf den hinteren Bereich des Ateliers zu.
Er öffnete die Tür zu einem kleinen Raum, der als Abstellkammer diente. In ihm befanden sich aufeinandergestapelte Möbelstücke und, direkt unter einem Dachfenster, das die Form eines Bullauges hatte, ein Bett. »Die Magd wird es für Euch herrichten, keine Sorge. Hier habe ich immer meine Lehrjungen untergebracht, als das Atelier noch bessere Zeiten kannte. Aber ach, seit dem Tod meiner Frau kann ich mich nicht mehr dazu aufraffen, junge Leute auszubilden. Oft neige ich mehr dazu, mit meinen Pigmenten und meinen Ölen zu experimentieren, als mich an meine Staffelei zu setzen! Deshalb ist der Wettbewerb auch so wichtig: Ich muss beweisen, dass Hans Baltus nicht am Ende ist! Nicht zuletzt auch mir selbst! Und ich bin mir meines Erfolges so gut wie sicher«, versicherte er mit verschwörerischer Miene.
Sie wurden von Yser unterbrochen, die mit einem Steintopf und Verbandsmaterial hereinkam.
»Ihr Arm, Papa ... ich habe auch Balsam mitgebracht für die Muskeln.«
Samuel beobachtete, wie sie ihren Vater versorgte, immer noch fasziniert von ihrer Schönheit und der verwirrenden Ähnlichkeit mit Alicia Todds. Yser hatte ihren Hut abgenommen, das blonde Haar fiel in Wellen bis auf ihre Schultern. Sie hatte eine etwas andere Gesichtsform, und ihre Augen waren weniger mandelförmig, aber der Rest, ihre Augenfarbe, die fein geschnittene Nase, ihr lächelnder Mund und diese strahlend weißen Zähne ... Ganz schwindelig konnte einem werden!
Beim dann folgenden Abendessen – gekochtes Lammfleisch, dazu Karotten und ein dunkles Landbrot – blieb Sam schweigsam. Vor allem aus Vorsicht, denn er wollte sich nicht verraten, aber auch, weil er so das junge Mädchen in Ruhe beobachten konnte. Sie selbst sagte auch nicht viel, sondern nickte nur ab und an zu den Geschichten, die ihr Vater erzählte, wobei sie es sorgsam vermied, sich direkt an Sam zu wenden. Gegen Ende der Mahlzeit stellte dieser dann die Frage, die ihm auf der Seele lag, seit ihm klar geworden war, dass er so schnell wie möglich in seine Zeit zurückkehren musste: »Ihr habt vorhin von Arbeit gesprochen. Habt Ihr auch eine Idee, wo ich welche finden könnte?«
»Mit Sicherheit im Weinhafen. Dort gibt es immer reichlich Fässer zu verladen.
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