Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
Uniform der TRADIS-Wache und sein krauses Haar war zu Zöpfen geflochten. Er stülpte seine wulstigen Lippen immer wieder vor und zurück, während Mrs Onyango auf ihn einredete.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das mit dem Herumkommandiertwerden aufhört, wenn man erwachsen ist«, meinte Urs zu Carl.
Carl nickte nachdenklich, den Blick ebenfalls auf die beiden Streitenden gerichtet. »Der Fahrer wirkt nervös. So, als würde er Ärger kriegen, wenn sie ihn wieder wegschicken sollte.«
»Wahrscheinlich hat er heute noch jede Menge anderer Fahrten zu machen und ist mit unserer schon zu spät dran.« Urs warf einen Blick auf die Uhr. Halb fünf beinahe, und das Klinikum lag nicht gerade um die Ecke. Wenn in der Stadt annähernd so viel Verkehr war wie heute Morgen, würden sie nicht pünktlich ankommen.
Jetzt kam noch ein Wachmann aus dem Bus gestiegen, ein blonder Hüne mit einer gewaltigen Waffe in der Hand, und redete ebenfalls auf Mrs Onyango ein. Die telefonierte zum bestimmt zehnten Mal und winkte ungeduldig ab, als der Blonde mahnend auf seine Armbanduhr tippte.
Schließlich kam sie in die Halle zurück und sagte: »Also, wie’s aussieht, wird der Konvoi anderswo gebraucht. Hat wohl mit einer außerordentlichen Sitzung des Kabinetts zu tun; am Flughafen muss gerade die Hölle los sein mit Sonderflügen von TransMach-Maschinen.« Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Das Problem ist: Der Bus hat keine Klimaanlage.«
»Aua«, sagte Carl.
»Genau«, nickte Mrs Onyango. »Es hat da drin jetzt schon vierzig Grad und sie werden die Fenster nicht auflassen können, wenn unser kleiner Engel hier mitfährt. Wegen dem Staub.«
Die prachtvolle alte Standuhr, die die Halle zierte, schlug leise zur halben Stunde.
»Das geht schon«, erklärte Elinn. »Ich hab ja die Maske. Ich nehm einfach noch ein paar Tropfen.«
Mrs Onyango musterte sie zweifelnd. »Meinst du?«
»Die Tropfen sind ganz prima.« Elinn holte ihr kleines gelbes Fläschchen hervor und träufelte ein . . . zwei . . . drei . . . vier Tropfen auf den Filter der Atemmaske. Dann kam nichts mehr heraus. »Leer«, sagte Elinn. »Aber Dr. Hung will mir neue Tropfen geben.« Sie setzte die Maske auf und atmete kräftig ein.
»Also, von mir aus.« Mrs Onyango machte eine scheuchende Bewegung mit dem rechten Arm. »Fort mit euch.«
Sie stiegen in den Bus. So schlimm fand Urs die Hitze darin gar nicht, aber er merkte, wie Carl nach Luft schnappte. Die Marskinder waren eher an Kälte gewöhnt, das war ihm an Ariana schon aufgefallen.
Im Bus saßen bereits sechs bis an die Zähne bewaffnete Männer, außerdem stiegen vier weitere Wachleute mit ihnen ein, zwei Männer und zwei Frauen, die sich von den anderen nur dadurch unterschieden, dass ihre Uniformen gescheckt waren. Eine der Frauen hielt Elinn an der Schulter fest, als diese, die Maske vors Gesicht gepresst, nach hinten durchgehen wollte, und riet: »Besser irgendwo in der Mitte.«
»Ja, lass uns irgendwo sitzen, wo wenigstens Schatten ist«, meinte Carl.
Endlich schlossen sich die Türen und es ging los. Anders als heute Morgen, wo doch der eine oder andere Passant ihrem Konvoi neugierig hinterhergestarrt hatte, erregten sie diesmal nicht das geringste Aufsehen.
Und natürlich war viel Verkehr. Weitaus mehr als am Morgen. Innerhalb von fünf Minuten standen sie auf einer der großen Straßen in einem Stau, dessen Ende überhaupt nicht abzusehen war.
Urs beobachtete amüsiert, wie Carl und Elinn über diesen Anblick staunten. Sie hatten sicher noch nie im Leben so viele Menschen und Fahrzeuge auf einmal gesehen. Und dabei war Nairobi alles andere als eine große Stadt. Verglichen mit den richtig großen Metropolen, den Dreißig-Millionen-Städten wie Tokio, Kairo oder Bombay war die »Smaragd-Stadt«, wie sie auch genannt wurde, fast ein Dorf.
Der Bus drängelte sich hupend in die Außenspur, bog in eine schmale Seitenstraße ab. »Ich nehm einen Schleichweg«, rief der Fahrer nach hinten.
Es ging durch Straßen, die immer schmaler wurden, durch Gassen schließlich, in denen Wäscheleinen von einer Häuserfront zur gegenüberliegenden gespannt waren und Männer mit Flaschen in der Hand aus den Fenstern sahen. Bald hörte die Umgebung auf, nach Stadt auszusehen; sie fuhren zwischen schäbigen Häusern mit Blechdächern dahin, die in scheußlichem Türkis oder Rosa gestrichen waren und bisweilen weder Fenster noch Türen hatten.
»Sagen Sie mal«, rief einer der Wachmänner, die mit ihnen zusammen
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