Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
den Wäldern und Bauwerken ganz zu schweigen.
»Sie steht auf«, sagte jemand von den Leuten, die beim Turm standen und alles beobachteten.
Ariana begann zu rennen, ohne nachzudenken. Rannte, genau wie die anderen, um möglichst rasch beim Turm zu sein. Tatsächlich. Elinn hatte sich erhoben, kniete auf allen vieren in dem matten Lichtkreis, den ihr Brustscheinwerfer zeichnete, schwankte leicht. Auf alle Fälle lebte sie. Gut. Sehr gut. Vielleicht ging ja doch noch alles gut aus . . .
»Ja«, flüsterte jemand neben ihr. Carl. Sein Helm spiegelte in dem Licht der Scheinwerfer, die den Turm anstrahlten, aber Ariana sah, dass er den Blick wie gebannt auf seine kleine Schwester gerichtet hielt.
Elinn blieb nicht auf allen vieren. Sie stemmte sich hoch, mühsam, entsetzlich mühsam, aber sie schaffte es. Stand, auch wenn es ihr sichtlich schwerfiel. Stand, wenn auch schwankend.
Dann: der erste Schritt. Unsicher, aber sie stürzte nicht. Noch einer. Und noch einer.
»Gut«, sagte jemand. »Vielleicht schafft sie es von allein zurück . . .«
Der Scheinwerfer zitterte suchend umher. Ja. Sie schlug die richtige Richtung ein, die Richtung zurück nach Hause. Schritt um Schritt kam sie auf den Turm zu.
Ariana hörte, wie die Leute ringsum den Atem anhielten.
Sie hörte Carl, der neben ihr stand und wisperte: »Ja. Gut. Du schaffst das … bitte . . .«
Es tat weh, das zu hören. Carl gab sich die Schuld an dem, was passiert war.
Ariana spürte ein Zittern tief in sich. Nicht auszudenken, wenn Elinn etwas passierte. Ariana atmete aus, ganz aus, wie Kim Seyong, ihr Jiu-Jitsu-Lehrer, es sie gelehrt hatte. Ausatmen, um die Angst zu besiegen. Und dann einatmen, ohne sie wiederkehren zu lassen.
Einer der Männer räusperte sich. »Mir kommt es so vor, als würde das Mädchen den Turm überhaupt nicht sehen. Oder?«
Ja. Genauso sah es aus. Elinn tat einen Schritt nach dem anderen, mit ausgebreiteten Armen, kämpfte sich voran gegen einen Zug zu Boden, der mörderisch sein musste. Ihre Beine zitterten unter der Last, dass einem ganz wacklig wurde vom bloßen Zusehen. Sie gab nicht auf. Sie kam immer näher.
Doch sie verfehlte den Turm. Nur um ein paar Meter, aber sie ging vorbei. Sie setzte weiter einen Fuß vor den anderen, aber jeder Schritt brachte sie nun weiter weg.
»Das wird nichts«, stellte Caphurna entschieden fest. Er wandte sich an die drei Männer, von denen einer das Messgerät trug. »Aber das ist ein wichtiger Hinweis, dass der Turm von der anderen Seite eventuell nicht sichtbar ist.«
»Wie kann das sein?«, fragte jemand.
Caphurna hob die behandschuhten Hände. »Vermutlich auch ein Tarnfeld. Möglicherweise umschließt es den Turm auf der anderen Seite aus nächster Nähe.«
»Das heißt, wir müssen unseren Rückweg markieren«, meinte Roger Taylor.
»Genau«, sagte Caphurna. »Es wird genügen, wenn Sie das Messgerät unmittelbar auf der anderen Seite abstellen, sowie Sie die Passage verlassen. Dann wissen Sie, wo es zurückgeht.«
Elinn lief immer weiter, war schneller geworden und inzwischen schon wieder gut zehn Meter entfernt. Sie alle hier auf dem Mars waren unwillkürlich um den Fuß des Turms herumgegangen, um in die Richtung schauen zu können, in die sie marschierte.
Doch nun wurde sie langsamer. Blieb stehen. Setzte sich. Legte sich hin.
»Los«, drängte Caphurna. »Schnell.«
»Okay«, sagte Roger Taylor.
Die drei Männer traten nebeneinander vor die zylindrische Wandung des Turms, taten den ersten Schritt gemeinsam.
Und stießen gegen die Wand.
Carl stand wie erstarrt. Wie durch einen Schleier verfolgte er, was geschah, hörte, was geredet wurde.
»Es geht nicht.«
»Vielleicht die falsche Stelle? Wo ist das Mädchen rüber?«
»Hier drüben. Da. Bei dem halben Fußabdruck.«
»Nein. Da ist kein Durchkommen. Alles fest.«
Carl fühlte Entsetzen, das sich in ihm ausbreitete wie etwas Kaltes, das durch seine Adern kroch. Elinn war verloren. Seine kleine Schwester war – wie, das konnte er sich jetzt auch nicht mehr erklären – auf eine fremde Welt geraten und würde nicht mehr zurückkommen. Er konnte sie sehen, aber wie lange noch? Und was konnte er jetzt noch tun?
Jemand fasste ihn bei der Schulter. Professor Caphurna. Die dunklen Wolken am Himmel des fremden Planeten spiegelten sich in seinem Raumhelm.
»Deine Theorie scheint nicht ganz zu stimmen«, sagte der Wissenschaftler. »Wobei ich mich frage, wie Elinn dann auf die andere Seite gelangt ist.«
»Ich weiß
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