Die steinernen Schatten - Das Marsprojekt ; 4
hinterlassen. Einige der Diamanten waren sogar kaputtgegangen.
Verblüfft war er auch, weil er nicht verstand, wie er zu dieser Ehre kam. Immerhin war er erst seit wenigen Wochen auf dem Mars. Er war der Neuankömmling unter den Kindern. Er hatte noch nicht einmal gelernt, unter der geringen Marsschwerkraft richtig zu gehen, machte immer noch ab und zu wilde Sätze, wenn er nicht aufpasste.
Und trotzdem hatten die … Marsianer oder wer auch immer sie waren ihm ein Artefakt zukommen lassen. Einen Schlüssel zu ihren Türmen. Ihm, während Ariana keinen bekommen hatte. Die immerhin hier auf dem Mars aufgewachsen war. Und Ronny auch nicht, der hier lebte, seit er als Säugling mit seinen Eltern angekommen war.
Mehr noch: Sein Artefakt war das erste gewesen von denen, die sie besaßen. Elinn hatte es gefunden. Elinn, die jetzt da drüben lag, auf einem anderen Planeten . . .
Auch etwas, das er jetzt gerade überhaupt nicht mehr begriff. Wie das möglich war. Klar, so theoretisch darüber nachdenken konnte man. Ein Tor auf einen anderen Planeten. Okay. In der Theorie kein Problem. Vorstellen konnte man sich viel. Aber hier zu stehen und das Ding vor sich zu sehen, diesen gigantischen Zylinder, in dem die Nacht einer fremden Welt brodelte . . . Das war etwas anderes. Das war so wirklich, dass es unfassbar war.
Er merkte, dass Ariana ihn musterte. Sie stand neben ihm und sah rasch weg, als er den Kopf wandte.
Sie ärgerte sich. Ganz klar. Er kannte sie inzwischen gut genug, um das zu spüren.
Und er konnte es ihr nicht verübeln. Er an ihrer Stelle hätte sich auch geärgert.
Caphurna war ein paar Schritte weitergegangen. Er gestikulierte vor sich hin, aber man hörte ihn nicht reden. An seinem Helm glomm das Signallicht, von dem Urs inzwischen gelernt hatte, dass es anzeigte, dass der Betreffende ein Gespräch über das Kom-Netz führte und für den normalen Helmfunk deswegen im Augenblick nicht ansprechbar war.
In diesem Moment erlosch es. Der Professor wandte sich ihnen wieder zu und sagte: »Wir warten, bis er da ist. Er will sich das alles selber ansehen. Es dauert nicht lange, das Flugboot sollte in einer halben Stunde oder so landen.«
Urs hörte Carl schnauben. »Eine halbe Stunde! Das kann eine halbe Stunde zu viel sein.«
Caphurna murmelte etwas auf Portugiesisch vor sich hin, eine Verwünschung, soweit Urs verstand. Er sprach kein Portugiesisch, aber an der Schule in Genf hatte er einen Mitschüler gehabt, der aus Lissabon gekommen war und so ähnlich geschimpft hatte.
»Also«, sagte der Professor zögernd und Urs merkte, dass er ihn dabei ansah, »vielleicht können wir das so machen, dass du …hmm, obwohl …ich müsste natürlich sicher sein, dass du dich an eine entsprechende Vereinbarung halten wirst . . .« Er drehte sich um, schien nach etwas zu suchen. »Das Messgerät meine ich. Es wäre vielleicht ein erster Schritt, es hinüberzubringen. Nur absetzen und zurück. Damit wir sehen, mit was für Bedingungen wir es zu tun haben. Um dich …oder euch …entsprechend auszurüsten.«
Urs musste unwillkürlich schlucken. Das war die Kehrseite des Privilegs, einen Passierschein für den Turm zu besitzen: Es war an Carl und ihm zu tun, was für Elinns Rettung notwendig war. Niemand anders war dazu in der Lage.
Urs holte tief Luft. Er war kein Feigling, bestimmt nicht. Aber das hier war schon etwas, das einem an die Nieren gehen konnte.
Caphurna nahm das Messgerät auf, das die Männer des Einsatzteams ein paar Schritte entfernt abgestellt hatten, kam damit zu Urs und hielt es ihm hin. »Kannst du das tragen?«
Urs nahm es. Hier auf dem Mars spielte Gewicht selten eine Rolle. Sein Magnet-Scooter-Board auf der Erde war schwerer gewesen. »Kein Problem.«
Urs glaubte zu spüren, dass Carl ihn mit einem Blick ansah, der in ein paar Minuten Löcher in ihre beiden Helme brennen würde. Weil jetzt klar war, dass Caphurna ihm mehr traute als Carl.
Wobei der Wissenschaftler damit vermutlich recht hatte. Urs hätte selber keinen Cent darauf gewettet, dass Carl, wenn er erst einmal drüben war, tatsächlich umdrehen und ohne Elinn zurückkommen würde.
Er sah auf das Messgerät in seiner Hand. Was würde er tun? Gehorchen? Oder auf eigene Faust . . .?
»Also«, sagte Caphurna nervös, »du musst das nicht tun, wenn du nicht willst, okay? Du kannst auch vorher mit deinen Eltern sprechen oder . . .« Er holte tief Luft. »Es ist vielleicht die größte Dummheit meines Lebens, dich gehen zu lassen. Aber
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