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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Nicolas, wäre es dir recht, wenn ich dich einmal begleiten würde, wenn du... wieder fortgehst?«
    Nicolas’ Miene verriet tiefe Verwunderung.
    »Noch an Weihnachten hast du geweint, als ich dir sagte, wie ich mein Geld verdiene. Und jetzt willst du das gleiche tun!«
    »Ich habe an Weihnachten nicht gewußt, wie krank Langeweile machen kann.«
    »Du bist ein bißchen widersprüchlich. Erst schwärmst du von einem Heim und Kindern, und dann wirst du zur Räuberbraut. Bist du denn sicher, daß du das möchtest?« Mary zuckte die Schultern.
    »Ich bin jung, und vielleicht weiß ich überhaupt nicht genau, was ich möchte. Aber auf jeden Fall kann ich nicht ewig in diesem Zimmer sitzen, darüber werde ich schwermütig.« Nicolas lachte, hob seinen Kelch mit Wein und prostete ihr zu.
    »Gut,« meinte er, »wir versuchen es. Das nächste Mal kommst du mit.«
     
    Der Sommer des Jahres 1535 war heiß und trocken, es gab Mißernten und Seuchen, und Soldaten des Königs ritten durch die Grafschaften und brachten eine furchtbare Hinrichtungswelle mit, die alle erfaßte, die den Eid auf die neue Kirche nicht leisteten. Im Juni wurde sogar Thomas More, einstiger Kanzler und heute einer von Henrys heftigsten Gegnern, zum Tode verurteilt und verbrannt, weil er für Rom und gegen die anglikanische Kirche sprach. Ein Kloster nach dem anderen wurde aufgelöst, was vor allem für viele Frauen im Land einen harten Schlag bedeutete, denn nur in Klöstern hatten junge Mädchen die Möglichkeit gehabt, lesen und schreiben zu lernen und sich mit Büchern zu beschäftigen, anstatt nur Wäsche zu waschen und Kleider zu nähen. Nun mußten sie an den heimischen Herd zurückkehren, und die englischen Frauen wurden in ihrer Bildung denen des Kontinents gegenüber um Jahrzehnte zurückgeworfen.
    In London hielt der Sommer mit drückender Schwüle, Unmengen
von Fliegen und sich rasend ausbreitenden Seuchen Einzug. Wochenlang gab es kaum einen Tropfen Regen, der Wasserspiegel der Themse sank beträchtlich, doch die Stadt blieb, Hitze und Fieber zum Trotz, mit tosendem Geschrei erfüllt. Mitten durch dieses sommerliche Getümmel zogen Nicolas und Mary auf ihren räuberischen Beutegängen, von der Gluthitze in den engen Gassen sehr schnell zur Tollkühnheit verführt. Mary fand Gefallen an diesem neuen Spiel, auch wenn sie dabei immer wieder das Gefühl hatte, etwas zu tun, was nicht in ihrer Natur lag. Das Leben hatte sie schlecht behandelt, nun schlug sie zurück, und sie tat es mit einer trotzigen Zufriedenheit. Manchmal, in stickigen Nächten, in denen sie nicht schlafen konnte, dachte sie: Ja, lieber Gott, du hattest ja die Möglichkeit, meine Seele zu gewinnen, hättest du mir nur Frederic gelassen. Aber so kann ich mich auch gleich mit dem Teufel verbünden!
    Anfangs waren sie nur zu Taschendiebstählen aufgebrochen. Nicolas zeigte dabei eine Geschicklichkeit, die Mary zutiefst faszinierte. Er begab sich in eine besonders dichte Menschenmenge, wie sie sich immer wieder an den verschiedensten Plätzen bildete, wo etwas geschah, bei Hahnenkämpfen oder Straßentheatern. Er suchte sich einen besonders reich gekleideten Herrn oder eine elegante Dame aus, schob sich langsam und unauffällig an das Opfer heran und dann, mit einem blitzschnellen Griff, der so gewandt war, daß Mary hinterher nicht hätte beschwören können, daß er überhaupt erfolgt war, tauchte er in die Taschen des anderen oder zog Schmuck von Armen, Händen und Hals. Er kam jedesmal mit großer Beute zurück, mit Ringen oder Ketten, juwelenbesetzten Schnupftabakdosen, Ledergürteln mit goldenen Schnallen, Taschentüchern aus Seide oder kleinen samtenen Geldbeuteln, in denen es verheißungsvoll klimperte.
    »Es ist sehr wichtig, vorher ungefähr zu wissen, was man haben möchte,« erklärte er Mary, »denn im entscheidenden Moment hat man keine Zeit, lange herumzusuchen. Man muß dem Opfer auf Hände und Arme sehen, um zu wissen, ob es Schmuck trägt, und es ist auch notwendig, vorher zu wissen, ob etwa ein Ring locker genug sitzt, daß man ihn abstreifen kann oder ob er so eng liegt, daß ein Versuch von vornherein überflüssig ist. Und du mußt Kleider,
Hemden, Mäntel sehr sorgfältig mit deinen Augen, nicht mit deinen Händen, abtasten, um zu sehen, wo jemand einen wertvollen Gegenstand oder seinen Geldbeutel verborgen haben könnte. Du mußt es dir so genau einprägen, daß du beim Zugreifen weder hinschauen noch suchen mußt. Nur einen Herzschlag lang zuviel Zeit, und

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