Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
es kann dich dein Leben kosten!«
Seine Augen hatten einen lustvollen Ausdruck bekommen und Mary begriff jetzt, weshalb er unter allen Umständen gesetzlosen Tätigkeiten nachgehen mußte. Sie hatte sich schon oft gefragt, warum er, klug, weltgewandt und charmant wie er war, nicht andere Wege fand, sein Geld zu verdienen. Er brauchte die atemlose Spannung gefahrvoller Momente, offenbar konnte er nur in dem Bewußtsein existieren, stets einen Fuß in Tyburn und seinen Hals in nächster Nähe der Schlinge zu haben. Auf einmal wußte Mary, was sie von Anfang an so sehr an Nicolas fasziniert und zugleich in Entsetzen gestürzt hatte: Es war die Todessehnsucht, die von ihm ausging, verbunden mit der Neigung, das Verderben herauszufordern. In ihm vereinten sich ein Hauch Tragik, herrührend aus der Zeit, da er den Untergang der Familie Maurois hatte erleben müssen, eine Spur Melancholie, und etwas von der morbiden Geistesart seines Vaters, der im Freitod gestorben war. Hinzu kamen Wildheit, ein schier unbändiger Abenteuertrieb und eine starke Zärtlichkeit, die ebenso unstillbar war wie sie forderte. Mary wußte nicht viel vom menschlichen Wesen, aber hätte sie Nicolas malen sollen, sie hätte einen schwarzen, sturmdurchtosten Himmel auf das Papier gebracht, in dem an hundert Stellen ein Stück leuchtendes Blau und flimmernde Sonnenstrahlen aufgetaucht wären.
Irgendwann sagte Nicolas, Mary müsse nun anfangen, selbst Erfahrungen zu sammeln und nicht länger nur ihm zuzusehen.
»Du brauchst noch nicht selber zu stehlen,« meinte er, »aber es würde mir die Arbeit natürlich sehr erleichtern, wenn du den Herrn, den ich beraube, ablenkst. Du flirtest mit ihm, und währenddessen... « Er machte eine eindeutige Handbewegung. Mary wurde nervös.
»Ich weiß nicht, ob ich das kann. Mit einem wildfremden Mann flirten...«
Nicolas lachte laut auf.
»Mary, mein Engel, wenn du etwas kannst, dann das! Du bist die hübscheste Person, die zur Zeit in London herumläuft, und du brauchst einen Mann nur anzulächeln, damit er vor dir in die Knie geht. Wirklich, mach dir keine Sorgen! Mir ergeht es viel schlimmer, denn ich werde furchtbar eifersüchtig sein.«
»Nun ja,« sagte Mary, die sich geschmeichelt fühlte, zögernd, »ich könnte es versuchen.«
Sie zogen schon am nächsten Tag los. Mary trug eines ihrer neuen Kleider; es war aus einem hauchzarten blaßgrünen Wollstoff mit goldenen Seidenfäden bestickt und hatte weitschwingende Ärmel, die vorne in einen Spitzenbesatz mündeten, der sich eng um das Handgelenk schmiegte. Dazu trug Mary ihren neuen Hut, unter dem ihre lockigen Haare offen hervorsahen. Nicolas hatte ihr eine Menge kleiner Farbtiegel geschenkt, so daß sie ihre Lippen und Wangen rot und ihre Augenlider blau färben konnte. Sie fand sich entsetzlich schamlos und wagte ihren Blick nicht zu heben, während sie durch die Straßen gingen. Ihr Kleid war auch viel zu tief ausgeschnitten und sie trug kein Mieder darunter, so daß sie sich vollkommen nackt vorkam. Sie kicherte nur einmal nervös, als sie sich ausmalte, was Bess sagen würde, wenn sie sie jetzt sehen könnte. Sie suchten diesmal weniger belebte Plätze auf und begaben sich ans Themseufer, in jene Gegend, in der Mary und Anne drei Jahre zuvor den toten Lord Cavendor abgelegt hatten. Mary schaute sich endlich etwas freier um. Sie bemerkte, daß die vornehmen Damen sie mit Abscheu musterten, weil sie sie für eine Prostituierte hielten, und daß die Männer ihr begehrlich nachblickten. Sie verrenkten sich beinahe die Hälse, um ihr im Vorübergehen in die Augen schauen zu können.
Verächtlich dachte Mary: Lieber Himmel, ein bißchen Farbe im Gesicht und ein aufreizendes Kleid und ihr verliert auch noch den kläglichen Rest eures Verstandes!
Endlich hatte Nicolas ein geeignetes Opfer gefunden und blieb stehen. »Dort drüben der Mann«, sagte er, »siehst du ihn? Er wirkt ebenso einsam wie reich. Ich denke, es müßte dir leichtfallen, ihn in deine Netze zu locken!«
Mary blickte zu dem Mann hin, den Nicolas meinte. Er war mittelgroß und von fülliger Gestalt. Er hatte eine enge Hose aus honigfarbenem Samt an, darüber einen weitschwingenden Mantel aus dünner scharlachroter Seide. Auf seinem Kopf schwebte ein weinrotes Barett, von dem flaumige, goldgelbe Straußenfedern wehten. Das Schwert des Fremden, soviel konnte Mary sogar auf die Entfernung erkennen, war am Griff vergoldet und mit Edelsteinen besetzt. Der Mann hatte ein schwammiges
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