Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
Gold aufzuwiegen waren die Dienste, die er ihr schon geleistet hatte. Er machte es sogar möglich, sich einen Mann wie Mackenzie zu leisten. Obwohl auch gerade Mackenzie sie immer wieder zum Nachdenken brachte. Heruntergekommen, faul und verwahrlost wie er war, zeigte er doch eine seltsame Anhänglichkeit an Marmalon und an sie.
Keinen Finger macht er krumm, dachte sie manchmal erbittert, um gleich darauf das Gefühl zu haben, treuer als er könne keiner zu Marmalon stehen. Er würde sich nicht dazu hinreißen lassen, auch nur ein Korn in die Erde zu legen, aber, so überlegte Mary, nicht einmal, wenn das ganze Gut in Flammen stünde, würde er sich aus dem Staub machen. Ach, sie wurde nicht schlau aus ihm, beim besten Willen nicht. Und sie hatte keine Zeit zu grübeln. Sie mußte sich um die Schafe kümmern und um die neue Saat und manchmal, wenn es ihr gerade voller Schuldbewußtsein in den Sinn kam, auch ein wenig um Jane, die sich in Marmalon nicht heimisch fühlte und in ewigem Streit mit Mackenzies Kindern lag.
An einem warmen Märztag traf Mary überraschend Lady Cathleen. Sie hatte sich mit Tallentire an den Schafkoppeln verabredet, um die neugeborenen Lämmer anzusehen, und so machte sie sich am Mittag allein auf den Weg. Sie fand es schön, durch die laue Luft zu traben, das Gesicht in die Sonne zu halten und den gedämpften Schritten ihres Pferdes zu lauschen. Nach wie vor ging sie gnadenlos mit ihrer Gesundheit um, aber der Frühling weckte ihre Lebensgeister neu, so daß sie ihre fortschreitende Nervosität kaum bemerkte. Sie hörte entspannt den Vögeln in den Zweigen zu und kehrte erst ruckartig in die Wirklichkeit zurück, als sie die Hufe eines anderen Pferdes vernahm und ein Reiter vor ihr auftauchte. Zu ihrem Erstaunen erkannte sie Lady Cathleen in einem dunkelblauen Reitkleid, eine Haube mit wehendem Schleier auf dem Kopf. Sie zügelte ihre Pferd.
»Lady Cavendor«, sagte sie erstaunt, »Sie sind hier? Ich dachte, Sie seien noch in London!«
Cathleen blieb stehen.
»Oh, Mrs. de Maurois!« rief sie. »Bin ich hier in Rosewood?
Wissen Sie, ich habe mich ein bißchen verirrt. Wenn ich schon einmal etwas ohne Anne mache...«
»Aber ich finde es sehr reizend, daß Sie hergekommen sind. Bloß heißt es jetzt nicht mehr Rosewood, sondern Marmalon.«
»Ah, ich verstehe... ja, wir sind gerade erst angekommen... Sie wissen, was in London los ist?«
»Ich habe Gerüchte gehört...«
»Die Pest, Mrs. de Maurois. Es ist furchtbar!« Cathleens große, blaue Kinderaugen blickten entsetzt und hilflos drein. »Dreihundert Menschen sterben jede Woche. Besonders drüben am Südufer, aber bei uns auch. Überall, in allen Rinnsteinen und Hauseingängen, auf den Abfallhaufen liegen tote Ratten und alles ist noch voll kranker Ratten, die aus den Augen bluten und an dem Schleim ersticken, den sie spucken. Tote, stinkende, verfaulte Menschen liegen herum und die Karren, die durch die Gassen rumpeln, um sie abzuholen, können sie nicht fassen. Ach, wer nur kann, flieht. Der König und die Königin haben die Stadt auch schon verlassen. Und Anne und ich hielten es auch nicht mehr aus.«
»Dann ist es also wahr«, sagte Mary, »der schwarze Tod. Wieder einmal.« Sie schauerte und sandte gleichzeitig ein stummes Dankgebet zum Himmel, daß sie der Londoner Schiffswerft rechtzeitig das Holz geliefert und ihr Geld dafür bekommen hatte, denn jetzt waren die alle dort womöglich schon tot, gaben keine Aufträge mehr oder rückten kein Geld raus. Dann aber durchzuckte sie ein heißer Schreck, denn sie dachte an Nicolas im Tower und an die zahllosen Ratten, die dort lebten. Er konnte nicht davonlaufen. Sie wurde blaß. Cathleen griff nach ihrem Arm.
»Sie müssen keine Angst haben«, sagte sie, »Anne und ich sind mit niemandem in Berührung gekommen. Sie können sich bestimmt nicht anstecken.«
» Wie? Ach nein, daran habe ich nicht gedacht. Es war etwas anderes, was mir durch den Kopf ging...« Sie hatte solange nichts mehr von Nicolas gehört, wußte nicht, ob ihre Briefe ihn überhaupt erreichten. Sie überlegte, ob irgend jemand es ihr mitteilen würde, wenn etwas mit ihm geschähe. Diese Gefängnisse waren wie Gräber, draußen erfuhr man nicht, was in ihnen vorging. Aber sie
durfte nicht darüber nachdenken. Sie verscheuchte ihre Gedanken mit jener unbarmherzigen Härte, die sie sich gegenüber den Dingen angewöhnt hatte, die sie nicht ändern konnte.
»Ich finde es schön, daß Sie hier sind, Mylady«, sagte
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