Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
sentimental bist du nie gewesen.«
Gott sei Dank nicht, dachte Mary, sonst wäre nicht viel aus mir geworden.
»Oder erinnerst du dich an den reichen Dickwanst, der seinen
Blick nicht von dir lösen konnte, den wir am Themseufer ausgeplündert haben? Er...«
»Ach, sei doch still«, unterbrach Mary gequält. Ausgerechnet an Archibald Claybourgh wollte sie jetzt nicht denken, am liebsten nie wieder in ihrem Leben. Sie wollte an das ganze London nicht denken. Warum mußte Nicolas in Erinnerungen schwelgen?
Jetzt leben wir und hier, dachte sie ungeduldig, über die Zukunft soll er sprechen, nicht über etwas, was tausend Jahre zurückliegt!
Nicolas verstummte.
»Es tut mir leid. Ich weiß, du hast dieses Leben nie gemocht.«
»Nein, das ist es nicht... wir haben nur so bitter dafür bezahlt, und ich, ach, können wir nicht alles vergessen?« Sie trat endlich auf ihn zu, schlang beide Arme um ihn. Sie legte ihren Kopf an seine Brust und konnte durch sein Hemd hindurch die Wärme seines Körpers spüren und das gleichmäßige Schlagen seines Herzens hören. Ein Gefühl von Ruhe durchströmte sie.
Er ist wieder da, dachte sie, und alles wird gut werden. »Ach, Nicolas, du wirst so glücklich sein hier! Es ist so schön. Ich werde dir Marmalon zeigen, das Haus, die Ställe, die Felder mit dem silbrigen Weizen darauf, die grünen Wiesen und die klaren Bäche. Alles, wonach du dich gesehnt hast in den letzten Jahren. Ich zeig es dir! Komm mit.« Sie wollte ihn an der Hand nehmen und fortziehen, aber er hielt sie zurück.
»Ich bin etwas müde jetzt, Mary. Ich bin auf dem ältesten Klepper der Welt hierhergeritten, und nun spüre ich jeden Knochen im Leib.«
»Woher hattest du das Pferd?«
»Freunde in London haben mir Geld gegeben. Ich sagte, sie bekämen es zurück, denn ich hätte eine reiche Frau.«
»Ach...«
»Ich würde aber gern Jane sehen.«
»Natürlich.« Mary spürte, daß sie schon wieder einen Fehler begangen hatte. Sie hätte selber erst von Jane und dann von Marmalon sprechen sollen.
»Sie ist in ihrem Zimmer. Du wirst dich wundern. Sie ist ein sehr hübsches kleines Mädchen.«
Sie gingen über den Gang hinüber in Janes Zimmer. Jane saß dort auf dem Boden und hatte gerade all die Zöpfe, die Dilys ihr am Morgen geflochten und säuberlich aufgesteckt hatte, gelöst, und war nun damit beschäftigt, ihre dicken schwarzen Haare mit beiden Händen zu einer wilden Mähne aufzubauschen. Entsetzt starrte sie auf den großen, fremden Mann, der plötzlich vor ihr stand.
»Mutter, wer ist das?« Sie erhob sich, lief zu Mary hin und drückte sich an sie. Mary strich ihr über den Kopf.
»Das ist dein Vater, Jane. Ich habe dir doch oft von ihm erzählt.«
Jane bekam große Augen. »Du hast gesagt, daß er sehr schön ist. Dieser Mann ist sehr schön.«
»Daß ich diese Worte noch einmal von einer Frau hören würde«, sagte Nicolas belustigt, »Jane, komm her zu mir. Hätte ich gewußt, daß ich eine so schöne Tochter habe, ich wäre schon viel früher gekommen. «
Jane trat zögernd auf ihn zu. Mary war überrascht, wie ähnlich sie und ihr Vater sich sahen. Nun, da sie einander gegenüberstanden, fiel es erst richtig auf. Die gleichen, dicken schwarzen Haare, die gleichen dunkelbraunen Augen mit den starken Wimpern und Brauen. Dazu die schmale Nase und die hohen Wangenknochen.
Nur den Mund hat sie von mir, dachte Mary, doch schon wenn sie lächelt ist sie wieder mehr Nicolas. Sie sieht dann ebenso aufsässig aus wie er. Auf Anhieb verstanden sich Jane und Nicolas blendend. Jeder von ihnen fand sich im anderen wieder. Mary betrachtete eine Weile, wie zärtlich die beiden miteinander spielten, dann zog sie Nicolas ungeduldig zu sich heran.
»Dein Vater ist sehr müde, Jane, er muß sich ausruhen. Morgen früh kommt er wieder zu dir.«
»Kommst du morgen früh, Vater? Bestimmt?«
»Ganz bestimmt«, versicherte Nicolas, »und dann spiele ich den ganzen Tag mit dir.«
Er verließ mit Mary das Zimmer. Draußen sagte er: »Wie bezaubernd sie ist. Meine Tochter, mein Kind! Sieben Jahre ist sie alt, und ich habe sie nie gesehen. Es ist so furchtbar, darüber nachzudenken. «
»Dir bleibt doch jetzt soviel Zeit für sie. Und ich muß sagen, du
nutzt sie von Anfang an gründlich. Du hast sie geküßt – und mich noch kein einziges Mal, seitdem du hier bist.«
Nicolas lächelte schwach. Er sah sehr müde aus.
»Es tut mir leid, Mary«, sagte er mit erschöpfter Stimme. Er neigte sich zu ihr hinab
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