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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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herrlichen Herrenhäusern am Ufer der Themse, besaßen Schlösser auf dem Land, hatten Scharen von Günstlingen hinter sich, die sich eifrig bemühten, keinen Unwillen zu erregen und sich gegenseitig an Wohlverhalten zu übertreffen.
    Lord Cavendor, das wußte jeder, gehörte zu den eingebildetsten Mitgliedern des Kronrates. Er bewohnte ein palastähnliches Haus am »Strand«, der vornehmsten Straße am nördlichen Themseufer, und wenn er durch die Straßen ritt, trug er selbst an gewöhnlichen Werktagen Mäntel aus Brokat und unübersehbare wuchtige Goldringe an allen zehn Fingern seiner Hände. Das Zaumzeug seines Pferdes war mit Edelsteinen besetzt und er preschte so rücksichtslos durch die Menge, daß viele Leute sich nur noch mit letzter Not seitwärts in Sicherheit bringen konnten. Das Gerücht ging um, dabei sei einmal vor vielen Jahren ein kleines Kind zu Tode getrampelt worden und dessen Familie habe er dann mit Hilfe seines Einflusses zum Schweigen gebracht, aber niemand wagte es, öffentlich darüber zu sprechen. Es könnte gefährlich werden, sich mit Robert Cavendor anzulegen. Hinter seinem Rücken wünschte man ihm den Tod, die Hölle und alle denkbaren Strafen des Himmels, von Angesicht zu Angesicht hingegen lächelte man ihn an und die jungen Blumenverkäuferinnen oder Dienstmädchen knicksten tief, wenn er vorüberkam und bemühten sich, ihm einen betörenden Blick zuzuwerfen. Angeblich hatte er viele Mätressen, wechselte sie rasch, bevorzugte Frauen aus den unteren Schichten und bedachte sie mit großartigen Geschenken. Da sein lockerer Lebenswandel allgemein bekannt war, brannte man in der Londoner Gesellschaft darauf, die Frau kennenzulernen, die dumm oder naiv genug gewesen war, ihn zu heiraten. Als er gleich in der ersten Woche nach seiner Ankunft einen großen Empfang gab, kamen sie alle, um die junge Gemahlin in Augenschein zu nehmen. Ein einziger Blick auf die junge Lady Cathleen reichte, um die hämische Neugier in aufrichtiges Mitleid zu verwandeln. Cathleen sah todunglücklich aus und schien dauernd
in Tränen ausbrechen zu wollen. Die strapaziöse Reise von Canterbury nach London hatte sie mager werden lassen, sie sah müde und angestrengt aus. Ihre zarte Schönheit begeisterte die Londoner Gesellschaft, die Üppigeres gewöhnt war und ihre unverhüllte Traurigkeit ließ sie alle Herzen gewinnen.
    Cathleen war von der großen Stadt völlig verschreckt. Sie hatte nie etwas anderes kennengelernt als Fernhill, und das tosende, überfüllte London entsetzte sie. Sie haßte ihren Mann mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt, und mit jeder Meile, die er sie von Fernhill weggeführt hatte, fühlte sie sich ihm mehr ausgeliefert. Als sie dann in London waren und Einzug in das schöne, große Haus am Strand gehalten hatten, vergrub sie sich tief in ihre Einsamkeit, die sie auch unter zahllosen Menschen wie eine undurchdringliche Hülle zu umgeben schien, und gab sich ihrer Angst und ihrem Heimweh widerstandslos hin.
    Anne und Mary erforschten gemeinsam die Stadt. Mary hätte nie gedacht, daß ein Ort so laut und bunt und schreiend sein, daß es so viele Menschen auf einem Haufen geben konnte. Die engen Gassen waren voll mit Pferden, Wagen, Karren, Verkaufsständen, Körben, Eimern, Ziegen, Hühnern und Schafen, manchmal in einem solchen Gedränge, daß niemand mehr hindurchkommen konnte. Mit schneidenden, kreischenden Stimmen versuchten sie einander im Anpreisen ihrer Waren zu übertönen, so daß man den Eindruck gewinnen mußte, ganz London bestehe nur aus Händlern und der Handel sei der Lebensinhalt eines jeden Bürgers dieser Stadt. An der Themse herrschte ein solches Gewimmel von Schiffen, Booten und Kähnen, daß dazwischen manchmal kaum noch die Wellen zu erkennen waren. Selbst unmittelbar vor den Kirchen, vor Westminster und der Templar’s Church tummelten sich die Händler und feilschten laut und wild. Überall saßen Bettler herum, die skrupellos nach vorübereilenden Bürgern griffen, und sie zu sich heranzerrten, um sie dann nicht selten mit einem unauffällig hervorgeholten Messer zu einer milden Gabe zu bewegen. Am Südufer der Themse, das nur durch die London Bridge mit dem Nordufer verbunden war, lebten die mittellosen Bewohner der Stadt in verwahrlosten, von Seuchen, Ratten und allem nur denkbaren Elend heimgesuchten
Lehmhäusern, zusammengepfercht auf engstem Raum. Am Tag wie bei Nacht schwärmten sie aus, um sich zu holen, was sie zum Leben brauchten. Und sie gingen

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