Die Sternseherin
langsam!«, jetzt wurde auch Julen ärgerlich. »Wer bist du, dass du glaubst, alles besser zu können, und überhaupt – was läuft da zwischen euch?«
Den letzten Teil der Frage konnte Asher sogar sich selbst nicht zufriedenstellend beantworten und gewiss würde er seine Gefühle nicht mit irgendeinem Jungspund diskutieren. Aber er fühlte deutlich, wie Julen begann, die Geduld zu verlieren. Und obwohl er Kieran versprochen hatte, ihre verwandtschaftliche Verbindung möglichst zu verschweigen, schien ein kleines Stück von der Wahrheit angeraten, um dessen Schützling weiter beobachten zu können und gleichzeitig ein Auge auf Estelle zu haben. »Ich bin Kierans Bruder.«
Julen öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, schloss ihn aber wieder und starrte Asher an, als hoffte er, sein Gegenüber würde dadurch in Flammen aufgehen. Als er endlich sprach, war es mehr ein wütendes Zischen. »Das glaube ich nicht! Er hat mir einen Bücherwurm auf den Hals gehetzt.« Julen ging zum Fenster und sah schweigend hinaus. »Was denkt ihr eigentlich? Dass ich ein verdammtes Kindermädchen brauche?«
Asher wusste, dass der Vampir frustriert war. Schließlich sollte die Aufklärung der Entführungen seine Bewährungsprobe als Vengador sein und in dieser Situation hatte es niemand gerne, wenn ihm jemand ins Handwerk pfuschte. Zumal er inzwischen unter enormem Zeitdruck stand. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis der Rat weitere Vengadore hinzuzog, um die Streuner zur Räson zu bringen. »Im Gegenteil, er war nicht besonders begeistert davon, dass sich unsere Wege gekreuzt haben. Offenbar kennt er dich ganz gut.«
Julen drehte sich abrupt herum. »Und warum bist du dann trotzdem hier?« Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, zeichnete sich Begreifen auf seinem Gesicht ab. »Estelle!«
»Mach dich nicht lächerlich! Sie gehört zur Familie und es ist meine Pflicht, sie zu schützen. Eine Aufgabe, die, nebenbei gesagt, nicht leichter geworden ist, seit sie glaubt, die Kur gegen ihre Anfälle sei in diesem verflixten Grimoire zu finden.«
»Du willst behaupten, du interessierst dich nur professionell für sie? Interessant, dann hast du bestimmt nichts dagegen, wenn wir sie fragen, mit wem von uns sie dieses Mal das Schlafzimmer teilen möchte. Ist sie so gut im Bett, wie man es Feentöchtern nachsagt?«
Es wurde totenstill. Nicht einmal die alltäglichen Geräusche des Lebens um sie herum drangen mehr an sein Ohr. Es schien, als hielte die Welt den Atem an.
Asher ging betont langsam auf Julen zu und blieb schließlich so dicht vor ihm stehen, dass ihre angriffsbereiten Körper nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Die tiefblaue Iris seiner Augen verdunkelte sich, bis sie fast schwarz wirkte. Ein Sturm braute sich in ihm zusammen und seine Pupillen verlängerten sich zu Schlitzen. Julen gelang es nur mit äußerster Mühe, nicht seinem Instinkt nachzugeben, sich umzudrehen und zu fliehen, möglichst bis ans Ende der Welt, an irgendeinen Platz, wo ihn der mörderische Hass dieses Irrsinnigen nicht verfolgen konnte. Doch er wusste genau, eine einzige Bewegung hätte den Killerinstinkt ausgelöst, der in jedem von ihnen dicht unter der Oberfläche lauerte. In diesem Moment dankte er den Göttern dafür, dass Asher ihn nicht spüren konnte, und starrte regungslos an ihm vorbei. Jetzt bloß nicht in die Augen sehen! Ein direkter Blickkontakt, das wusste Julen aus Erfahrung, wurde vom jeweils Ranghöheren als offene Provokation empfunden, und im Moment konnte er nicht darauf vertrauen, dass die während mehrerer Jahrhunderte geübte Disziplin den Älteren davon abhalten würde, sofort anzugreifen. Kierans Bruder besaß die Augen eines Raubtiers, doch er wirkte tausendmal todbringender. Und das, ohne seine mit Sicherheit mindestens genauso bedrohlichen Zähne zu zeigen, als er jetzt den Mund öffnete. »Niemand, hörst du, niemand legt Hand an sie, ohne sich vor mir zu verantworten!«
Die Drohung hing wie dichter Rauch im Raum, der alles Leben auslöschte. Julen erinnerte sich daran, wie er versucht hatte, Estelle vor ihrer Haustür zu küssen. »Du warst das! Du bist uns nachgeschlichen und hast den bösen Geist gespielt, um mich zu vertreiben!« Er trat einen Schritt zurück und verschränkte seine Arme vor der Brust. »Ich bin nicht sicher, ob Estelle diese Einmischung gefallen würde.«
»Ich rate dir, achte auf deine Worte, wenn dir deine Zunge lieb ist!« Asher fauchte diese Worte mehr, als dass er sie sprach.
Weitere Kostenlose Bücher