Die stillen Wasser des Todes - Roman
Teil mit der Einschüchterung vielleicht gespart. Womöglich war sein gewalttätiger Trieb so mächtig geworden, dass es kein Zurück mehr gab.
Kincaid vermutete, dass Craigs Vergewaltigungen vor Jenny Hart Gelegenheitsverbrechen gewesen waren, obwohl er sicherlich gezielt zu Feiern und Pubabenden gegangen war, in der Hoffnung, dort ein geeignetes Opfer zu finden.
War es bei Hart anders gewesen? Hatte er gewusst, welches ihr Stammlokal war und wann er sie dort vermutlich antreffen würde? Hatte er den Mord schon geplant, als er Jenny Hart an jenem Abend im Pub getroffen hatte?
Wenn ja, dann erschien der Mord an Rebecca Meredith wie eine vergleichsweise unspektakuläre und mit Bedacht durchgeführte Aktion. Wieso hatte er sie nicht zu Hause überrascht, wenn er doch wusste, dass sie allein lebte?
Kincaid beantwortete seine eigene Frage: Weil Craig gewusst hatte, mit wem er es bei Rebecca Meredith zu tun hatte, und ihm wohl klar gewesen war, dass sie sich nicht ein zweites Mal würde überrumpeln lassen.
Aber was Kincaid immer noch nicht verstand, war, warum Craig sich entschieden hatte, Rebecca Meredith jetzt zu töten anstatt schon vor einem Jahr, als sie zum ersten Mal gedroht hatte, ihn zu entlarven.
Was um alles in der Welt hatte die Tat ausgelöst? Und war Craig nicht auf den Gedanken gekommen, dass Gaskill Verdacht schöpfen würde, wenn Rebecca unter so mysteriösen Umständen starb? Oder war Gaskill so korrupt, dass Craig sich selbst in dieser Situation voll auf ihn verlassen konnte …
»Erde an Duncan!« Gemma wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. »Du bist ja ganz weit weg, Schatz. Wie wär’s, wenn du mal mit mir redest?«
»Das gefällt mir nicht«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Es gefällt mir nicht, dass du und Melody in diese Geschichte verwickelt seid. Craig hat zu viel Einfluss.« Der Gedanke, dass Gemma mit diesem Mann in Berührung gekommen war, wenn auch nur ganz flüchtig, ließ ihn rot sehen.
»Ich übernehme ab sofort die Ermittlungen im Fall Jenny Hart«, fuhr er fort. »Doug und ich werden morgen die Kellnerin befragen – obwohl es vielleicht besser wäre, wenn ich Doug da auch heraushalten würde.«
Gemma warf ihm einen Blick zu, der besagte, dass das mit ihr nicht zu machen war. »Und wenn der Chief dich von dem Fall abzieht, ehe du dazu kommst?«, fragte sie. »Was dann? Dann stehst du mit leeren Händen da, und niemand kann Craig irgendetwas anhaben. Lass Melody die Befragung übernehmen. Es ist eine berechtigte Nachermittlung im Rahmen des Sapphire-Projekts, und sie muss es mit niemandem absprechen. Wenn die Zeugin eine eindeutige Identifizierung liefert, kannst du von da an übernehmen.«
Sie hatte recht, auch wenn er das äußerst ungern zugab. Er trank noch einen Schluck von seinem Wein und sagte dann zögernd: »Na schön. Aber es ist Melodys Befragung, nicht deine«, warnte er. »Ich will nicht, dass du in irgendeiner Weise da hineingezogen wirst.«
»Natürlich nicht«, sagte sie, doch sie grinste dabei wie die Katze aus Alice im Wunderland.
Er spürte, wie sein Blutdruck in die Höhe schoss. »Du musst das ernst nehmen, Gemma. Hast du dir diese Fotos wirklich gründlich angeschaut?« Er schlug mit der flachen Hand auf den Papierstapel, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, während er fortfuhr: »Ich glaube, dir ist gar nicht klar, wie gefährlich dieser Mann wirklich ist. Ich will nicht –«
Sein Handy klingelte. Er hatte es auf den Tisch gelegt, als er sich zum Essen hingesetzt hatte, und von der Vibration stieß das Besteck klappernd gegen seinen Teller. Geordie hob den Kopf und knurrte.
»Verdammt«, murmelte Kincaid, während er nach dem Störenfried griff. »Was ist denn jetzt schon wieder? Ich schwöre, wenn das verfluchte Teil das nächste Mal klingelt, schmeiße ich es ins Klo!«
Die Art, wie seine Kiefermuskeln sich anspannten, erinnerte ihn daran, dass er immer noch auf Angus Craigs Vergeltungsschlag wartete.
Aber auch diesmal war es nicht der Chief Superintendent, der anrief, um Craigs Zorn auf ihm abzuladen oder Kincaid eine offizielle Rüge zu erteilen.
Laut Display war es Detective Constable Imogen Bell.
»Sir«, sagte sie, als er sich meldete, und sie klang überraschend verschüchtert. »Hier DC Bell. Tut mir leid, dass ich Sie so spät noch belästige, und wahrscheinlich sind Sie zu Hause – ich habe im Red Lion nachgefragt, und da hieß es, Sie seien abgereist …«
»Es spielt doch keine Rolle, wo ich bin, Bell.
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