Die stillen Wasser des Todes - Roman
seinen Ersatzmann. Nur dass sein Ersatzmann dem Job verdammt noch mal nicht gewachsen war. Er war nicht fit genug, er war nicht gut genug, und nach der Hälfte konnte man schon sehen, dass er das Boot runterzog wie ein Bleianker. Oxford hatte nicht die geringste Chance. Aber er hatte sein Scheiß-Blue in der Tasche.«
»Wie ging es weiter? Hast du es gemeldet?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Und ich habe mir nie verziehen. Aber seine Verlobte war eine meiner besten Freundinnen. Wir sind zusammen gerudert, und nach dem Studium haben wir zusammen bei der Polizei angefangen. Als ich ihr erzählte, was ich gesehen hatte, meinte sie, ich müsse mich getäuscht haben. Sie flehte mich an, ihr zuliebe nichts zu sagen, und ich hatte schließlich keine Beweise.
Nicht, dass ich welche gebraucht hätte. Allein das Gerücht hätte gereicht, um ihn für alle Zeiten bei der ehrwürdigen Gemeinde der Old Blues unmöglich zu machen.« Der Spott in ihrer Stimme war unüberhörbar.
»Du hast es also niemandem erzählt? Auch nicht deinem Freund?«
»Nein. Ich hatte es schließlich meiner Freundin versprochen.« Becca fröstelte und zog sich die Decke bis unters Kinn. Der Zorn war aus ihrer Stimme gewichen. »Aber es machte keinen Unterschied, dass ich es für mich behielt. Unsere Freundschaft hat es trotzdem zerstört – das Geheimnis hat sie zerfressen wie ein Krebsgeschwür. Dass sie sich mir verpflichtet fühlte, hat am Ende dazu geführt, dass sie mich mehr gehasst hat, als wenn ich ihr Vertrauen direkt missbraucht hätte. Das hätte unsere Freundschaft vielleicht überlebt.«
»Warum erzählst du mir das jetzt?«, fragte Kieran und strich ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Weil –« Sie zuckte mit den Achseln, und ihre Stirn zog sich in Falten. »Weil du diese Leute nicht kennst. Du gehörst nicht zu dieser Welt. Und das« – sie lächelte und berührte seine Wange – »ist auch gut so.« Dann fuhr sie mit den Fingerspitzen über seinen nackten Arm, bis er selbst zu frösteln begann, doch ihr Blick ging immer noch in weite Ferne. »Und«, fügte sie gedehnt hinzu, »weil ich mich selbst daran erinnern muss, dass Geheimnisse, die man für sich behält, wie schwärende Wunden sind.«
Beccas Bild, das ihm für einige Augenblicke so lebhaft vor Augen gestanden hatte, verblasste, und Kieran saß allein in dem kalten Cottage, in der Hand nichts als ein Foto.
Ein Foto des Mannes, der Becca getötet hatte und einen Mordanschlag auf ihn verübt hatte, da war er sich jetzt sicher. Aber wenn dieser Mann bereit gewesen war, Becca zu ermorden, um sein Geheimnis zu wahren, warum hatte er all die Jahre damit gewartet? Was hatte sich geändert?
Donner krachte, und der Regen prasselte vom Wind gepeitscht wie ein Sperrfeuer gegen die alten Fenster. Kieran fuhr zusammen, das Foto glitt ihm aus den Händen und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem zerschlissenen Teppich, der die Holzdielen vor dem Sofa bedeckte.
Aber da war noch ein anderes Geräusch gewesen, halb übertönt vom Trommeln des Regens – oder hatte er sich das nur eingebildet? Er konnte nicht sagen, was es war oder wo es herkam. Da war dieses Dröhnen in seinen Ohren, das Hämmern in seinem Kopf, die schweißnassen Handflächen – das Gewitter hatte jenen Adrenalinschub ausgelöst, den er immer noch so mühsam in den Griff zu bekommen versuchte.
Finn hob den Kopf und lauschte. Vielleicht, dachte Kieran, dessen Mund ganz ausgetrocknet war, vielleicht war er ja doch nicht verrückt. Vielleicht hatte Finn auch etwas gehört.
Er hielt den Atem an, doch das einzige Geräusch, das er wahrnahm, war das Pochen seines eigenen Pulses in den Ohren. Es musste eine Autotür sein, die er gehört hatte, oder sonst irgendein gewöhnliches Geräusch – ein Nachbar, der nach Hause kam, oder jemand, der seine Katze aus dem Regen hereinrief. Keine Bombenangriffe, nicht hier.
Er musste nur zusehen, dass er sich beruhigte, sagte er sich, und sich daran erinnern, dass sein Geist seinen Körper beherrschen konnte. Es konnte ihm nichts passieren, wenn er nur –
Finn stand auf – so abrupt, dass er Kierans Knie zur Seite stieß. Das Fell auf seinem Nacken und Rücken stellte sich auf wie die Borsten eines Igels.
Und dann begann er zu knurren.
So hart Tavie auch daran gearbeitet hatte, sich ein neues Leben aufzubauen, und sosehr sie das Singledasein inzwischen genoss, musste sie doch feststellen, dass ihr das Haus ohne Kierans raumgreifende und bisweilen
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