Die stillen Wasser des Todes - Roman
noch nicht, aber die Chancen stehen recht gut für –« Er blickte sich um, und diesmal flüsterte er so, als handelte es sich um ein Staatsgeheimnis – »Eton.«
»Eton?«, echote Freddie, und die plötzliche Verbitterung, die er empfand, überraschte ihn selbst. »Wow. Dann treten sie also nicht in die Fußstapfen des Herrn Papa. Bedford ist wohl nicht gut genug für die jungen Abbott-Sprösslinge?«
»Darum geht’s nicht, Mann, das weißt du genau.« Ross klang gekränkt. »Es geht darum, dass du das Beste für die Kinder rausholen musst. Damit später mal was aus ihnen wird.«
»Schon klar.« Freddie rang sich ein Lächeln ab. Kinder. Er hatte Kinder gewollt, Becca nicht. Und jetzt war das Thema für alle Zeiten erledigt.
Eine Woge der Erschöpfung überkam ihn; plötzlich wollte er nur noch nach Hause und allein sein.
Ross leerte die letzten Tropfen aus seinem Glas, und ehe Freddie protestieren konnte, gab er der Bedienung ein Zeichen und bestellte noch einmal das Gleiche für sie beide. Dann wandte er sich zu Freddie um. »Wegen heute – es tut mir wirklich so leid, Mann. War es schlimm, vorhin im Leichenschauhaus? War sie – war sie verstümmelt oder so?«
»Nein, sie war unversehrt«, antwortete Freddie, dem die plötzliche Aufwallung von feindseligen Gefühlen gegenüber seinem alten Freund schon wieder leidtat. »Man konnte eigentlich gar nichts sehen. Sie sah einfach nur –« Seine Kehle schnürte sich zusammen, und er konnte das Wort nicht über die Lippen bringen. Tot – sie hatte tot ausgesehen.
»Hat die Polizei mit dir gesprochen? Haben sie schon eine Ahnung, was passiert ist?«
»Gesprochen haben sie mit mir, das schon. Aber niemand hat mir irgendetwas gesagt. Sie haben einen Superintendent vom Dezernat Schwerverbrechen hinzugezogen. Scotland Yard.«
Ross stieß einen leisen Pfiff aus. »Junge, Junge. Die fahren ja schweres Geschütz auf. Und haben sie dich auch gefragt, wo du warst?«
Der Alkohol vom Abend zuvor hatte Kierans Gleichgewichtsstörungen verstärkt, wie er es bereits geahnt hatte. Nach der Suche war es ihm gelungen, den anderen Teammitgliedern aus dem Weg zu gehen. Doch kaum war er allein, begann das Bild von Beccas Leiche ihn zu verfolgen, dort im Gestrüpp unterhalb des Wehrs, das Bild ihrer Haare, die sich in der Strömung wiegten wie Farnwedel.
Und so war er ins Pub gegangen, wo Tavie ihn gefunden hatte. Danach war er nach Hause gewankt und hatte sich auf das Feldbett im Bootsschuppen fallen lassen. Eine Zeitlang hatte er in einem Dämmerzustand dagelegen, berauscht vom Cider, und immer und immer wieder Beccas weißes Gesicht gesehen, das mit offenen, beschwörenden Augen zu ihm aufstarrte.
Aber dann schlug der Alptraum um, und er merkte plötzlich, dass Teile ihres Körpers fehlten, abgerissen von der Wucht einer Explosion, und Beccas Gesicht verwandelte sich in die Gesichter der Männer aus seiner Einheit, deren Schreie ihm in den Ohren gellten.
Dann war es Tavie – Tavie, die ihn anbrüllte, die ihm Befehle erteilte, die er nicht verstehen und nicht befolgen konnte.
Schweißgebadet erwachte er, nur um festzustellen, dass die Wirklichkeit genauso furchtbar war wie sein Alptraum. Becca. Becca war tot. Und Tavie, seine beste Freundin – seine einzige wirkliche Freundin – war für ihn verloren.
Beim ersten Schein der Morgendämmerung gab er den Gedanken an Schlaf auf und kochte sich Kaffee, so stark, wie er ihn nur ertragen konnte. Dann ging er hinaus, mit der Tasse in der Hand und Finn an seiner Seite, und sah zu, wie es über dem Fluss allmählich hell wurde. Graues Wasser verschmolz mit grauem Himmel, dann tauchten die ersten Umrisse der Baumkronen am anderen Ufer auf, und später, als der Nebel sich endlich verzog, die immer noch grünen Zweige der Weiden, die am Ufer ins Wasser hingen.
Am Ufer … Kieran zog konzentriert die Stirn in Falten, und dann flackerte es wieder auf – das Bild, das ihm keine Ruhe gelassen hatte, seit sie das Filippi gefunden hatten.
Er hatte am Ufer jemanden gesehen. Nicht dort, wo sie das Boot geborgen hatten, sondern ein gutes Stück flussaufwärts, auf der anderen Seite von Temple Island. Ein Angler, so hatte er vermutet, der dort im Schatten gestanden hatte, als Kieran am Sonntagabend seine Runde gelaufen war.
Und am Montag war er wieder dort gewesen.
Kieran hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, seine Joggingrunde so zu legen, dass er Becca bei ihrem abendlichen Rudertraining antraf. Doch am Montag hatte sie
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