Die Stimme des Blutes
Kieferbogen entlang zum kantigen Kinn. Er hatte schwarze Bartstoppeln, und lächelnd fragte sie sich, ob seine Körperhaare wohl ebenso dunkel waren wie die Haare auf seinem Kopf. Seine Augenbrauen waren gewölbt und schwarz wie die Sünde. Ihr gefielen sogar seine Ohren.
Schließlich fiel sie, an Rolands Rücken gekuschelt, ebenfalls in Schlaf.
Jäh erwachte sie und fuhr hoch. Sie hatte einen ungewöhnlichen Traum gehabt, der ihr noch lebhaft im Gedächtnis geblieben war. Er brachte ihr in Erinnerung, daß sie bei der ersten Begegnung mit Roland das Gefühl gehabt hatte, ihn von früher her sehr gut zu kennen. Jetzt hatte sie im Traum gesehen, was er geträumt hatte. Wie war das nur möglich? Es war ihr unbegreiflich. Sie selber war in seinem Traum nicht aufgetreten. Nein, sie hatte die Rolle einer Beobachterin gespielt und doch immer gewußt, was er gerade dachte. Wie kam es, daß ihr Roland so vertraut erschien? Jetzt glaubte sie plötzlich die Antwort auf diese Frage zu kennen. Aber sie würde ihm nichts davon sagen. Er würde doch nur annehmen, sie wäre verrückt oder einfach dumm oder beides.
Am nächsten Morgen war der Himmel bedeckt, und beide wußten, daß es bald wieder regnen würde.
In der Hoffnung, ihn damit zu überrumpeln, sagte sie auf einmal unvermutet: »Von meinem Vater hörte ich einige Geschichten aus dem Heiligen Land. Er sagte, er habe gehört, dort herrsche nur Hitze, es gebe nur weißen Sand, elende Fliegen, Armut und Kinder, deren Bäuche vor Hunger aufgetrieben seien. Er sagte, die Männer seien dunkelhäutig und bärtig und trügen weiße Gewänder und einen Turban auf dem Kopf. Er sagte, die Frauen würden von den Männern abgesondert und dürften das Haus nicht verlassen, in dem sie mit anderen Frauen zusammen lebten. Wißt Ihr etwas darüber, Roland?«
Rolands Hände krampften sich um die Zügel. Er hatte in der letzten Nacht vom Heiligen Land geträumt. Er hatte von einem Treffen mit den Barbaren und ihren Häuptlingen im Zelt des Königs geträumt, an dem er teilgenommen hatte. Aber das konnte Daria ja nicht wissen. Es war also reiner Zufall, daß sie darauf zu sprechen kam.
So sagte er nur: »Was Euer Vater Euch erzählt hat, trifft zu. Und jetzt seid still, ich muß nachdenken!«
Daria übte ihr Walisisch. Sie bildete Sätze und wiederholte Redensarten, die er sie in den vergangenen Tagen gelehrt hatte. »Rydw i wedi blino«, sagte sie dreimal hintereinander.
Er drehte sich nach ihr um. »Sagt Ihr das nur zur Übung, oder seid ihr wirklich müde?«
»Nag ydw«, sagte sie lachend und schüttelte zur Bekräftigung den Kopf.
Am späten Nachmittag gelangten sie nach Wrexham. Vor dem starken Regen suchten sie in der Kathedrale Schutz. Unter den niedrigen normannischen Arkaden des Kirchenschiffs schritten sie zum Kreuzgang. Nur wenige Menschen waren in dem Gotteshaus. »Hier ist es so dunkel wie in einem Brunnenschacht«, sagte Daria laut.
Roland sagte nichts. Er litt unter entsetzlichen Kopfschmerzen. In seinem Hals kratzte es, und jeder Muskel im Körper war verkrampft und tat ihm weh. Die Krankheit hatte ihn vor zwei Tagen überfallen, aber er hatte sie nicht weiter beachtet. Er durfte nicht krank werden. Er war ja für Daria verantwortlich. Aber es war schlimmer geworden. Er mußte sich sehr zusammennehmen, sonst hätte sie gemerkt, daß er Schüttelfrost hatte.
Schließlich konnte er keinen Fuß mehr vor den anderen setzen. »Halt!« sagte er, lehnte sich an einen Steinbogen und schloß die Augen.
Ihm blieb keine Zeit mehr, Daria zu sagen, was mit ihm los war. Um ihn herum wurde alles schwarz. Vergeblich kämpfte er dagegen an. Er merkte nur noch, wie er langsam an dem Bogen herunterglitt.
Der Graf von Clare betrachtete die beiden toten Männer. Einer lag verwesend mit dem Kopf im stehenden grünen Wasser, der andere lag zusammengekrümmt in einer nahe gelegenen Höhle.
»Ja«, sagte er, »die hat unser hübscher Priester umgebracht. Aber warum? Ob sie ihn überfallen haben?« Er hielt inne und wurde blaß. Hatten die Männer Daria vergewaltigt? Hatte Roland sie deswegen getötet? Nein, eher war anzunehmen, daß er sie erledigt hatte, bevor sie ihr etwas antun konnten. Danach hatte er sie einfach liegen lassen. Laut sagte er zu MacLeod: »Wohin hat unser Priester Daria gebracht, nachdem er die beiden Kerle getötet hatte? Hat er hier irgendwo Freunde?«
MacLeod wußte auf die Fragen des Grafen keine Antwort. Überdies wurde ihm allmählich diese ganze Verfolgungsjagd
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