Die Stimme des Feuers
Nordens hergereist«, sagte Graelam. »Chandra, wie machst du es nur, daß du jedesmal, wenn ich dich treffe, noch schöner bist?«
Chandra lachte leise. »Jerval, diese Bestie, hat mich einen Monat lang nicht mehr auf den Übungsplatz gelassen, weil es ihm peinlich gewesen wäre, wenn ich bei Hofe mit blauen Flecken und Kratzern erschienen wäre.«
Übungsplatz? Wovon redet sie? fragte sich Kassia verständnislos.
»Du wirst das hoffentlich nicht glauben«, sagte Jerval. »Das einzige, was sie davon abgehalten hat, war die Geburt unseres Sohnes vor vier Monaten.«
»Er heißt Edward«, sagte Chandra. »Jerval meinte, wenn es einen Edward in London gibt, muß es auch einen in Cumberland geben.«
»Und widersprechen konnte sie mir auch nicht«, sagte Sir Jerval, »weil sie ausnahmsweise einmal flach auf dem Rücken lag.«
»Die Halskette! Mein Gott. Graelam, an die habe ich nie mehr gedacht!«
Kassia hatte den Eindruck, ihr Mann erinnere sich erst jetzt daran, daß sie auch noch da war. »Ja«, sagte er gelassen, »es ist die aus Al Afdals Lager. Und die Kleine, die sie trägt, ist Kassia, meine Frau.«
Lady Chandra schnappte nach Luft. Ihre ausdrucksvollen blauen Augen waren vor Überraschung weit aufgerissen. »Gott im Himmel, Jerval, wir beide haben jetzt einen Sohn, aber Graelam hat eine Frau! Meine Liebe, ich hoffe, Ihr züchtigt dieses große Untier wenigstens zweimal am Tag. Er versucht doch bestimmt, Euch zu tyrannisieren.«
»Kassia«, sagte Graelam lässig, »das ist Lord Jerval de Vernon, und dies ist Lady Chandra, seine Gattin.«
»Meine Frau erteilt immer anderen Leuten Ratschläge, die sie selber nicht beachtet«, sagte Sir Jerval freundlich zu Kassia. »Sie ist so schrecklich in mich verliebt, daß ich sie dauernd von meinen Knien verjagen muß ...«
Chandra unterbrach ihn: »Hat Graelam Euch von unseren Abenteuern im Heiligen Land erzählt? Es kommt mir vor, als wäre es schon lange her! Diese Halskette, die Ihr tragt, hat eine ... besonders gefährliche Geschichte. Damals dachte ich schon, wir hätten unseren letzten Atemzug getan!«
»Erst hast du versucht, mich umzubringen, Chandra«, sagte Graelam vorwurfsvoll, »dann hast du mir mein elendes Leben gerettet. Nein, diese Geschichten darf man nicht erzählen, schon gar nicht bei einer Ehefrau, die ...« Graelam brach plötzlich ab.
»Ihr ... Ihr habt versucht, meinen Gatten umzubringen?« fragte Kassia.
»Ach, das ist schon lange her«, sagte Lady Chandra nach einigem Zögern. »Und jetzt ist es nicht mehr interessant.«
»Jerval, Chandra, wie lange bleibt ihr in London?« erkundigte sich Graelam.
»Ungefähr noch eine Woche«, sagte Jerval. »Edward hat Chandra zum Bogenwettschießen herausgefordert. Ich fürchte, ich darf ihr nur den Köcher halten.«
»Lady Chandra will gegen den König antreten?« fragte Kassia so ungläubig, daß Graelam lachen mußte.
»Ja, sicher«, sagte er. »Chandra ist eine Kriegerin.«.
»Aber sie ist doch eine so schöne Frau!«
»Von ihr habe ich gelernt, daß das eine die Wirkung des anderen noch verstärkt. Sie ist eine Frau, die ihre Ehre über alles stellt, meine Liebe. Und wie es scheint, schätzt sie jetzt ihre Weiblichkeit genauso hoch ein.«
Kassia fiel ein, daß Graelam ihr einmal erzählt hatte, die Narbe an seiner Schulter habe ihm eine Frau beigebracht. War es Chandra gewesen? Hatte er sie geliebt? Liebte er sie noch? Zumindest, dachte sie traurig, bewundert er sie sehr. Sie hat all das, was mir fehlt. Ich weiß bei einem Pfeil nicht mal, was vom und was hinten ist.
Sie reihten sich in einer Schlange von Edelleuten ein, die das neu gekrönte Herrscherpaar König Edward und Königin Eleanor begrüßen wollten.
Kassia hielt sich jetzt näher bei ihrem Mann und verglich ihn mit den anderen Adligen. Er sieht so prachtvoll wie ein König aus, dachte sie. Sein Umhang war aus weitgeschnittenem kostbarem Goldsamt, die wallenden Ärmel waren mit Hermelin gefüttert. Er fiel ihm herrlich von den Schultern. Sie hatte viele Stunden gearbeitet, um ihn so schön zu nähen.
»Ah, mein Lord Graelam!«
Graelam verbeugte sich tief. »Sire, willkommen daheim! Euer Thron hat in Eurer Abwesenheit schon Staub angesetzt, und Eure Barone wurden mürrisch, weil sie keinen König hatten, dem sie ihre Klagen vortragen konnten!«
»Ja«, sagte der König mit breitem Schmunzeln, »und ich bin sicher, Ihr habt ihnen genügend Geschichten über mich berichtet, die meinen Ruf verdunkeln. Meine Liebe, hier will
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