Die Stimme des Feuers
Graelam?« fragte Kassia nervös.
Zu ihrer Überraschung fing Etta laut zu lachen an. »Ach, dein Lord! Das ist ein Mann!«
»Wie meinst du das?«
»Eins muß ich dir sagen, mein Kindchen. Diese großartige Burg braucht dringend eine Herrin wie dich. Das Essen hier ist kaum genießbar, und das Personal rührt keine Hand, wenn Lord Graelam nicht da ist.«
»Das siehst du zu streng, Etta«, sagte Kassia. Aber nach den ersten Bissen des ihr Vorgesetzten Schweinefleisches mußte sie zugeben, daß es faserig und zäh war.
Etta betrachtete ihre junge Herrin mit besorgtem Blick. Wolffeton war eben doch ganz anders als Belleterre. »So«, sagte Kassia, »jetzt heraus mit der Sprache! Was ist in der Zeit, in der ich schlief, vorgefallen?«
»Nun, nachdem ich sicher war, daß du gut untergebracht warst, habe ich mich in den großen Saal geschlichen. Du kannst dir nicht vorstellen, was da los war! Ich habe noch nie so viele Leute durcheinander reden hören! Und Lord Graelams Verlobte erst! Sie hat geschrien wie ein Waldkauz!«
Kassia nippte an dem Glühwein. Ein wenig schuldbewußt sagte sie: »Sie wird doch hoffentlich nicht an gebrochenem Herzen sterben?«
»Haha, ausgerechnet die! Lord Graelam sollte dir die Füße küssen, daß du ihn vor einem elenden Schicksal bewahrt hast. Und die andere Frau - na, das wird sich noch zeigen.«
»Welche andere Frau?«
»Lady Blanche, Lord Graelams Schwägerin.«
Kassia horchte auf. Schwägerin?
»Ich habe es von einer Bedienerin, daß Lord Graelam vor langer Zeit schon einmal verheiratet war. Die Halbschwester seiner ersten Frau hat sich vor drei oder vier Monaten in Wolffeton einquartiert. Ich muß aber sagen, daß sie sich bei diesen ganzen Streitereien und dem Geschrei sehr zurückhaltend benahm. Iß die Kartoffeln auf, mein Kindchen!«
Kassia probierte eine Kartoffel. Sie war nur halbgar.
»Also, eins steht fest, dein Gatte ist ein echter Mann! Er brauchte nur einmal Ruhe zu gebieten, und alle waren sofort still. Sogar der Herzog von Cornwall. Ja, da guckst du, mein Kindchen! Der Onkel des Königs! Nach dem, was ich so herausgehört habe, hat er die Hochzeit in die Wege geleitet. Du hättest mal Joannas Vater sehen sollen! Lord Thomas machte seinem Namen Ehre, er war rot wie eine Tomate! Aber Lord Graelam wurde mit allen spielend fertig. Er sagte ihnen unverblümt, was sich auf Belleterre ereignet hat. Und damit auch der letzte Zweifel ausgetilgt wurde, daß du seine rechtmäßige Frau bist, zeigte er ihnen sogar den Ehevertrag. Da verschlug es sogar Lady Joanna die Sprache. Nur ihre Mutter jammerte in einem fort. Bis Lord Thomas ihr eins aufs Maul gab. Danach sagte er zum Herzog von Cornwall, daß er keinen Tag länger in Wolffeton bleiben werde. Nahm sein Weib und seine Tochter und marschierte aus dem Saal. Lord Graelam hatte Mühe, sich das Lachen zu verbeißen. Sei froh! Du wirst sie nie Wiedersehen!«
Kassia war unendlich erleichtert, bemühte sich aber, es Etta nicht zu deutlich zu zeigen. Ihr Gatte hatte sich vor sie gestellt! »Etta«, sagte sie, »wo ist Lord Graelam? Ist das hier nicht sein Zimmer?«
»Er ist im Saal und unterhält sich, glaube ich, mit dem Herzog von Cornwall. Alle anderen sind zu Bett gegangen, Gott sei Dank!«
»Gut«, sagte Kassia. »Aber jetzt muß ich ein Bad nehmen. Ich will ihm nicht noch einmal als dreckiges Gassenmädchen unter die Augen treten. Nein, keine Widerrede! Ich bin nicht mehr krank!«
Graelam saß in seinem Sessel dem Herzog von Cornwall gegenüber, einen Weinkelch in der Hand.
»Alle Wetter, Graelam, das war ein schlimmer Tag!« sagte der Herzog verdrossen.
»Ja, diesen Tag werde ich bestimmt nicht so schnell vergessen.«
»Und ist es wahr, daß Ihr sie erst einmal gesehen habt?«
Graelam nickte. Merkwürdigerweise fühlte er sich so fröhlich wie nach einer Schlacht. »Sie war damals dem Tode nahe. Nur an meinem Ring und an ihren kurzen Haaren habe ich sie gestern wiedererkannt.«
»Sie ist noch sehr jung«, sagte der Herzog nachdenklich. »Ja, sehr jung. Ihr habt noch nie mit ihr geschlafen?«
»Nein, mein Herzog.«
»Dann gibt es für Euch noch einen Ausweg aus dieser Katastrophe«, sagte der Herzog. »Da die Ehe nicht vollzogen wurde, kann sie annulliert werden. Das geht ganz einfach.«
Graelam erwiderte nach einigem Überlegen: »Mein Herzog, Belleterre ist eine beeindruckende Festung. Die Burg ist herrlich, und die Ländereien sind reich. Nach Lord Maurices Tod fällt alles mir zu. So gesehen, ist das
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