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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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dieser Abhängigkeit nicht zu lösen vermöchten. Rainhorn nannte das »MAVO« ein Experiment, bei dem die Kultur auf ihre kosmische Invarianz getestet werde, und fiel besonders unseren Kollegen von den Humanwissenschaften auf die Nerven, weil er sich vor ihnen in naivem, sanftem Tone mit immer neuen Kenntnissen aus ihrer Sparte brüstete. Er studierte nämlich, unabhängig von den Arbeiten seines Physikerteams, die gesamte Weltliteratur, hauptsächlich die linguistische, die sich seit gut zehn Jahren mit dem Problem »kosmischer Konversationsformen« und davon wiederum besonders mit dem »Dekodieren von Sprachen mit abgeschlossener Semantik« befaßte.
    Nun, und die totale Unbrauchbarkeit der Pyramide besagter Arbeiten – die Bibliographie, die ich mir ebenfalls ansah, umfaßte, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, etwa fünfeinhalbtausend Titel – war für jeden beim Projekt Beschäftigten offensichtlich. Das Lustigste dabei war, daß dergleichen Arbeiten weiter, und zwar durchaus nicht dünn gesät, in der Welt erschienen, die ja von der Existenz eines »Briefes von den Sternen« nichts wußte – der Kreis von Auserwählten ausgenommen. Und so war denn der Berufsstolz und das Solidaritätsgefühl der Linguisten beim Projekt schweren Prüfungen ausgesetzt, wenn uns Rainhorn, nachdem er mit der Post wieder eine Ladung entsprechender Artikel und Werke erhalten hatte, auf den halboffiziellen Arbeitstreffen über die Neuerscheinungen auf dem Gebiet der »Sternensemantik« unterrichtete. Die Nutzlosigkeit, die Sterilität all dieser genüßlich mit Mathematik gespickten Traktate war wahrhaft komisch, obwohl zugleich auch unerquicklich.
    Es kam sogar zu Zwistigkeiten, weil die Sprachwissenschaftler Rainhorn Böswilligkeit unterstellten. Überhaupt waren Reibereien zwischen den Human- und den Naturwissenschaftlern des Projekts an der Tagesordnung. Erstere wurden bei uns die »Humies« genannt und die anderen die »Physies«, wobei der Wortschatz des innerbetrieblichen Jargons durchaus nicht arm war. Ihn wie auch die Formen des Zusammenlebens beider »Parteien« könnte später einmal ein Soziologe untersuchen, und er würde reiche Ausbeute machen.
    Recht komplizierte Faktoren hatten Baloyne bewogen, in die »MAVO«-Mannschaft einen ganzen Haufen humanistischer Fachrichtungen aufzunehmen: nicht zuletzt auch der Umstand, daß er ja selbst von seiner Ausbildung und seinen Neigungen her Humanist war. Doch die Rivalität wirkte sich nicht sonderlich fruchtbar aus, da unsere Anthropologen, Psychologen und Psychoanalytiker mitsamt den Philosophen eigentlich über nichts verfügten, das ihnen als Rohstoff für ihre Arbeit hätte dienen können. Und so schrieb denn auch, sobald eine von den Sektionen der »Humies« wieder einmal eine interne Sitzung abhielt, immer jemand neben den Titel des Referats die Buchstaben SF – Science Fiction – ans schwarze Brett. Dieser Dummejungenstreich wurde leider durch die Vergeblichkeit dieser Sitzungen gerechtfertigt.
    Die gemeinsamen Versammlungen endeten beinahe immer mit offenen Zänkereien. Zu denen, die am schlimmsten wetterten, gehörten wahrscheinlich die Psychoanalytiker, die in ihren Forderungen eigentümlich aggressiv waren. Sie verlangten, daß die eigentlichen Fachleute die »buchstäbliche Schicht« der Sternenbotschaft entzifferten, worauf sie sich dann daranmachen und das ganze Universum derSymbole, mit denen die Zivilisation der »Absender« operiere, schon bestimmen würden. Hier bot sich natürlich eine Retourkutsche in Gestalt einer verwegenen Hypothese nachgerade an: die zum Beispiel, daß sich jene Zivilisation ungeschlechtlich vermehre, was unausbleiblich auch ihre »symbolische Lexik« desexualisiere, wodurch jeder Versuch einer psychoanalytischen Durchdringung von vornherein zum Scheitern verurteilt sei. Der das sagte, handelte sich sofort das Epitheton »Banause« ein, denn schließlich sei die heutige Psychoanalyse kein Freudscher Pansexualismus mehr. Und als sich auf einer solchen Sitzung auch noch ein Phänomenologe zu Wort meldete, wollten das Tohuwabohu und die Ausfälle kein Ende nehmen. Wir hatten aber auch ein echtes Embarras de richesse durch das Übermaß an »Humies«, die selbst durch so esoterische Gebiete, wie historische Psychoanalyse oder die Pleiographie, vertreten waren – ich erinnere mich weiß Gott nicht mehr, womit sich die Pleiographen eigentlich befassen, obwohl ich sicher bin, daß es mir seinerzeit gesagt wurde.
    Mir scheint, Baloyne

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