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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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hatte in dieser Hinsicht wohl unnötig den Vorschlägen des Pentagons nachgegeben: Die dortigen Ratgeber kannten ja einzig und allein die praxeologische Maxime, die aber kannten sie aus dem Effeff. Sie besagt: Wenn ein Mensch im Laufe von zehn Stunden eine Grube von einem Kubikmeter aushebt, dann heben hunderttausend Grabende diese Grube im Bruchteil einer Sekunde aus. Und genau wie sich diese Leute eher mit dem Spaten die Schädel einschlagen als das erste Krümchen Erde beiseite schaufeln würden, so lagen sich auch unsere unglücklichen »Humies« vorwiegend entweder untereinander oder mit uns in den Haaren, anstatt »effektiv zu arbeiten«.
    Dagegen, daß das Pentagon an die einfache Proportion zwischen Investitionen und Ergebnissen glaubte, war jedoch nichts zu machen. Der Gedanke, daß unsere Schirmherren Leute waren, die meinten, ein Problem, dem fünf Spezialisten nicht beikommen, kämen ganz bestimmt fünftausend bei, konnte einem die Haare zu Berge stehen lassen. Unsere armen »Humies« kriegten Frustrationen und Komplexe, weil sie ja, recht betrachtet, zu komplettem – wenn auch durch mancherlei Schein aufpoliertem – Nichtstun verdammt waren, und als ich zum Projekt stieß, gestand mir Baloyne unter vier Augen, daß es sein Traum sei – allerdings der Traum eines Enthaupteten –, diesen gelehrten Ballast über Bord zu werfen. Man durfte nicht einmal davon sprechen, aus einem ganz banalen Grunde nicht: Wer einmal beim Projekt war, konnte nicht so ohne weiteres wieder aussteigen, weil dann die »Enthermetisierung« drohte, das heißt, das GEHEIMNIS in die weite, vorerst noch nichtsahnende Welt hinausgedrungen wäre.
    Und so mußte Baloyne ein Genie der Diplomatie und des Taktes sein, und von Zeit zu Zeit dachte er sich sogar eine Art Beschäftigung oder vielmehr Ersatzbeschäftigung für die »Humies« aus, die Witze aber, die es über sie hagelte, brachten ihn eher in Wut als zum Lachen, weil sie schon vernarbte Wunden wiederaufbrechen ließen – wenn zum Beispiel im »Ideenbriefkasten« der Vorschlag auftauchte, die Psychoanalytiker und die Psychologen sollten »dienstversetzt« werden und, statt den »Sternenbrief« zu erforschen, sich künftig als Ärzte derer annehmen, die den Brief nicht zu entziffern vermöchten und dadurch unter »Streß litten«.
    Die Ratgeber aus Washington zerrten auch damit an Baloynes Nerven, daß sie alle naselang auf neue Ideen verfielen. So zum Beispiel drangen sie sehr lange und beharrlich darauf, er solle große gemischte Sitzungen nach dem beliebten »brainstorming«-Prinzip organisieren, das darauf beruht, daß man den Intellekt eines einzelnen, angestrengt ein Problem erwägenden Denkers durch ein großes Gremium ersetzt, das im Chor, vereint gewissermaßen,»laut« zum gestellten Thema »denkt«. Baloyne seinerseits probierte verschiedene Taktiken aus: »passive«, »unversöhnliche« und »aktive«, um sich derlei »guten Ratschlägen« zu widersetzen.
    Als jemand, der gegebenermaßen mehr zu der Partei der »Physies« neigt, wird man mich für befangen halten, doch ich muß gestehen, daß mir zu Anfang jede Voreingenommenheit abging. Gleich, nachdem ich zum Projekt gekommen war, begann ich, Sprachwissenschaft zu studieren, weil mir das als notwendig erschien, und alsbald bemächtigte sich meiner ein tiefes Staunen, als ich sah, daß über die allerersten und elementarsten Begriffe in diesem scheinbar so präzisen, angeblich so mathematisierten und physikalisierten Zweig nicht die Spur von Einmütigkeit besteht. Dort können sich ja die Autoritäten nicht einmal in einer so grundlegenden und gewissermaßen einleitenden Frage einigen, wie der, was eigentlich Morpheme und was Phoneme sind.
    Und als ich, absolut ehrlich, die entsprechenden Leute fragte, wie sie denn bei solcher Sachlage arbeiten könnten, wurden diese naiven Fragen für von Böswilligkeit diktierte Anspielungen angesehen. Ich war nämlich, ohne mir in den ersten Tagen darüber klar zu sein, zwischen Baum und Borke geraten, glaubte, man müsse hobeln, ohne mir Gedanken zu machen, was für Späne fielen, und erst mir gewogenere Leute, wie Rappaport oder Dill, weihten mich privat in die vielschichtige Psychosoziologie der Koexistenz zwischen »Physies« und »Humies« ein, die mitunter auch kalter Krieg genannt wurde.
    Nicht alles, was die »Humies« machten, war ohne Wert, muß ich bemerken. So zum Beispiel fielen die theoretischen Arbeiten des gemischten Teams von Wayne und Traxler, die sich mit der

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