Die Stimme des Herrn.
Generationen gerichtet wird – sei die Parallele zu dem Phänomen, vor welchem ich da stand.
Was aber ließ sich eigentlich mit einer solchen Analogie anfangen? Der Fundus der begrifflichen Mittel, die mir unsere Epoche zur Verfügung stellen konnte, erschien mir zeitweise beängstigend armselig. Nur am Menschen gemessen hat unser Wissen riesige Ausmaße angenommen, nicht jedoch an der Welt gemessen. Zwischen dem sich in kumulativer Explosion ausbreitenden Spitzenfeld der instrumentalen Techniken und der biologischen Natur des Menschen entsteht unter unseren Augen eine unaufhaltsam wachsende Kluft; sie spaltet die Menschheit in die Front der Wissenssammler mit ihren Reservetruppen und in die fruchtbaren Massen, die nichts erschüttern kann, weil sie ihre Hirne mit einem Informationsbrei füllen, der ebenso vorgefertigt ist wie der Nahrungsbrei für die Eingeweide. Die unübersehbare Aufsplitterung beginnt, denn wir befinden uns bereits jenseits der Schwelle – niemand weiß genau, wann wir sie überschritten haben –, wo ein einzelner Verstand nie wieder fähig sein wird, alles gespeicherte Wissen zu erfassen.
Weniger dieses Wissen zu vermehren als vielmehr die riesigen Halden zweitrangiger und damit überflüssiger Information abzutragen – das erscheint mir als die oberste Pflicht der neuen Wissenschaft. Die Informationstechniken haben etwas wie ein Paradies geschaffen, wo angeblich jeder, so er nur will, Wissen über alles erlangen kann, aber das ist eine komplette Täuschung. Eine Auswahl zu treffen, die einem Verzicht gleichkommt, wird unvermeidlich wie das Atmen.
Würde die Menschheit nicht unablässig angestachelt, aufgestört und in Atem gehalten durch das lokale »Umsich-Beißen« der unterschiedlichsten Nationalismen, durch das Aufeinanderprallen häufig scheinbarer Interessen, durch den Überfluß, der an manchen Punkten des Erdballsangehäuft wird, während an anderen gleichzeitig Mangel herrscht (dabei sind wir durch unsere technischen Möglichkeiten bereits in den Stand gesetzt, diese Widersprüche wenigstens prinzipiell zu lösen), dann würde sie vielleicht endlich begreifen, wie sehr diese kleinen, blutigen Scharmützel, ferngelenkt vom nuklearen Vernichtungspotential der Großen, ihren Blick von dem ablenken, was inzwischen »von allein« geschieht, dem Selbstlauf überlassen und unkontrolliert. Genau wie in den früheren Jahrhunderten betrachtet die Politik den Erdball (und heute auch noch den ihn umgebenden Raum bis hin zum Mond) als Schachbrett, auf dem Auseinandersetzungen ausgetragen werden, während sich das Brett doch heimlich längst verändert hat und nicht mehr die unbewegliche Stütze, nicht mehr Grundlage ist, sondern eher ein Floß, das anbrandende unsichtbare Strömungen gespalten haben und in eine Richtung tragen, in die keiner blickt.
Man wolle mir das gleichnishafte Bild nicht übelnehmen. Aber ja – die Futurologen sind wie die Pilze aus dem Boden geschossen, seit Hermann Kahn den Beruf der Kassandra zur Wissenschaft gemacht hat, doch keiner von ihnen hat je deutlich ausgesprochen, daß wir uns der technologischen Entwicklung mit Haut und Haar, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert haben. Die Rollen indessen haben sich verkehrt: Die Menschheit ist für die Technologie zum Werkzeug oder zum Mittel geworden, das zu einem grundsätzlich nicht bekannten Ziele führt. Die Suche nach wirksamen Waffen hat die Wissenschaftler ein für allemal zu Leuten werden lassen, die nach dem Stein der Weisen suchen, der sich nur dadurch von jenem Ideal der Alchimisten unterscheidet, daß es ihn bestimmt gibt. Der Leser futurologischer Abhandlungen bekommt, auf Kreidepapier gedruckt, Diagramme und Tafeln vorgesetzt, die ihn darüber informieren, wann es Wasserstoffheliumreaktoren geben und wann die telepathische Eigenschaft des Intellekts industriell verwertet werden wird. Derlei künftige Entdeckungen wurden mit Hilfe von Kollektivabstimmungen in den entsprechenden Fachkreisen vorausgesagt, was heutzutage gefährlicher ist, weil hier Wissen vorgetäuscht wird, wo früher über die pure Unwissenheit nicht der geringste Zweifel bestand.
Man braucht sich nur einmal die Geschichte der Wissenschaft anzusehen, und man gelangt zu der durch sie beglaubigten Erkenntnis, daß Dinge, die wir heute nicht wissen und die unvorhersehbar sind, über das Bild der Zukunft entscheiden werden. Die Situation ist auf eine historisch nie dagewesene Weise komplizierter geworden durch den Status des »Spiegels« oder
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