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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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des »doppelten Tanzes«, der die eine Seite der Welt zwingt, möglichst genau und rasch alles nachzumachen, was die andere auf dem Gebiet der Rüstung tut, und sich eigentlich nicht mehr feststellen läßt, wer einen bestimmten Zug oder Schritt als erster getan und wer ihn nur getreu nachgeahmt hat. Die Vorstellungskraft der Menschheit ist gewissermaßen erstarrt, gelähmt durch die Vision des atomaren Untergangs, der beiden Seiten immerhin so deutlich vor Augen steht, daß jeder vor dem ersten Schritt zurückscheut. Die von Strategen und gelehrten Beratergremien entworfenen »Drehbücher der thermonuklearen Apokalypse« fesseln und lähmen die Gehirne so, daß man weitere, in der Entwicklung enthaltene Möglichkeiten, die am Ende noch gefährlicher sind, gar nicht sieht. Der Zustand des Gleichgewichts wird unaufhörlich unterhöhlt durch neue Entdeckungen und Erfindungen.
    In den siebziger Jahren herrschte eine Zeitlang die Doktrin von der »indirekten wirtschaftlichen Vernichtung« aller potentiellen Gegner, die der Verteidigungsberater Kayser in der Maxime: »Bevor der Dicke mager wird, ist der Magere krepiert«, zusammenfaßte. Der Wettlauf um Kernladungen wurde jedoch vorerst durch das Raketenwettrüsten abgelöst, worauf der Bau noch kostspieligerer»Raketenabwehrraketen« erfolgte. Als nächster Schritt der Eskalation zeichnete sich die Möglichkeit ab, einen »Laserschild«, eine Art Pfahlzaun aus Gammalasern zu bauen, die das jeweilige Land mit Palisaden aus vernichtenden Strahlen umgeben sollten. Die Herstellungskosten für solche Apparaturen wurden bereits auf vierhundert bis fünfhundert Milliarden Dollar veranschlagt. Nach diesem Schachzug durfte man den nächsten erwarten, daß nämlich riesige Fabrik-Satelliten auf Orbits gebracht werden würden, die mit einem Schwarm von Gammalasern das Territorium des Gegners bestreichen und es im Bruchteil von Sekunden mit ultravioletter Strahlung vollständig verbrennen würden. Die Kosten für diesen »Todesgürtel« überschritten schon in den Schätzungen sieben Billionen Dollar. Die ökonomische Vernichtung des Gegners, die durch die Produktion von immer kostspieligeren und dadurch den gesamten Staatsorganismus auszehrenden Waffen erfolgen sollte und ernsthaft geplant war, ließ sich jedoch nicht verwirklichen, weil die technischen Schwierigkeiten beim Bau von Super- und Hyperlasern vorerst nicht zu überwinden waren. Diesmal hatte die barmherzige Natur dank der Eigenschaften ihrer Mechanismen uns vor uns selbst gerettet, aber das war ja nur ein glücklicher Zufall.
    So sahen in groben Zügen das Denken der Politiker und die von ihm diktierte Strategie der Wissenschaft aus. Unterdessen begann uns die gesamte historische Tradition der Kultur zu entgleiten wie die Ladung auf einem Schiff, das von den Wellen allzu heftig hin und her geworfen wird. Die großen historiosophischen Konzeptionen, in ihren Fundamenten unterspült, die großen Synthesen, fußend auf überkommenen Werten, wurden zu Brontosauriern, die zum Untergang verurteilt waren – es stand ihnen bevor, an den unbekannten Gestaden neuer Entdeckungen, die vor unseren Augen auftauchen würden, zu zerschellen. Denn es gab mittlerweile keine im Innersten der materiellen Welt verborgene Kraft und keine Scheußlichkeit mehr, die nicht als Waffe auf die Bühne gezerrt worden wären, sobald sie sich nur zeigten. Und so spielten wir in Wahrheit schon längst nicht mehr gegen Rußland, sondern gegen die NATUR selbst, weil es von der Natur und nicht von den Russen abhing, mit welcher Entdeckung sie uns als nächstes beschenken würde, und es war schließlich Wahnsinn, anzunehmen, sie sei uns höchst gewogen und gebe uns deshalb nur Mittel in die Hände, die das Überleben der Art erleichtern würden. Die Aussicht, daß am Forschungshorizont eine Entdeckung auftauchen könnte, die uns die absolute Oberherrschaft im Planetenmaßstab garantierte, mußte zur Erhöhung der Anstrengungen und der investierten Mittel führen, weil derjenige, der als erster dieses Ziel erreichte, die Hegemonie über den Erdball erringen würde: Davon wurde allenthalben gesprochen. Wie aber konnte man glauben, daß sich der Gegenspieler, ermattend, willfährig ins Joch spannen lassen würde? Und so war die ganze Doktrin zutiefst widersprüchlich, weil sie gleichzeitig das bestehende Gleichgewicht der Kräfte zu zerstören und es unablässig wieder zu erneuern suchte.
    Wir waren, als Zivilisation, den Technologien in die Falle gegangen,

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