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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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und über unser weiteres Geschick würde nur noch entscheiden, wie gewisse uns noch nicht bekannte Beziehungen von Energie- und Materieniveaus beschaffen waren.
    Wenn ich derlei Dinge aussprach, nannte man mich für gewöhnlich einen Defaitisten, besonders in den Kreisen jener Wissenschaftler, die ihr Gewissen dem State Departement in Pacht gegeben hatten. Die Menschheit, die sich gegenseitig bei den Haaren und an der Gurgel gepackt hielt, hatte, solange sie von Kamelen und Maultieren auf Triumphwagen, Fuhrwerke, Kutschen, in Autos, auf Dampfmaschinen, in Panzer umgestiegen war, noch darauf hoffen können zu überleben – indem sie die Fesseln diesesWettlaufs sprengte. Um die Mitte des Jahrhunderts hatte totales Entsetzen die Politik gelähmt, aber es hatte sie nicht verändert, die Strategie war die gleiche geblieben: Man stellte die Tage über die Monate, die Jahre über die Jahrhunderte, dabei hätte man doch umgekehrt vorgehen, das Wort vom Interesse der Art auf die Fahnen schreiben, den technologischen Aufschwung zügeln müssen, damit er nicht zu unserem Untergang wurde.
    Unterdessen vergrößerte sich die materielle Kluft zwischen den Großen und der Dritten Welt, von den Wirtschaftsexperten als »sich ausdehnende Ziehharmonika« bezeichnet – verantwortliche Persönlichkeiten, in deren Händen das Schicksal der anderen lag, sagten, sie verstünden wohl, daß dieser Zustand nicht endlos so weitergehen könne, doch sie unternahmen nichts, als warteten sie auf ein Wunder. Man mußte den Fortschritt, statt ihm als einem Automatismus zu vertrauen, in seinem immer schneller werdenden Selbstlauf koordinieren, es war ja Wahnwitz, wenn man glaubte, alles zu tun, was technisch nur irgendwie möglich ist, sei dasselbe, wie klug und gefahrlos zu handeln. Wir durften doch nicht auf ein wundersames Wohlwollen der Natur bauen, von welcher wir immer größere Teile in Futter für Mensch und Maschinen verwandelten, um sie der Zivilisation einzuverleiben. Das konnte ja ein Trojanisches Pferd sein, ein süßes Gift, das nicht deshalb tödlich wirkte, weil uns die Welt übelwollte, sondern weil wir blindlings handelten.
    Diesen Hintergrund durfte ich bei meiner Arbeit nicht unberücksichtigt lassen. Ich mußte ihn im Auge behalten, während ich mir über den »Doppelcharakter« der Botschaft den Kopf zerbrach. Die Diplomaten harrten in ihrem unvermeidlichen Frack, mit angenehmem Kniezittern bereits des großen Moments, da wir endlich mit unseren inoffiziellen, weniger wichtigen Vorarbeiten fertig seien und sie, mit Ordenssternen behängt, zu den Sternen flogen,um ihre Akkreditierungsschreiben zu überreichen und sich protokollgemäß durch Notenaustausch mit einer milliardenalten Zivilisation zu verständigen. Wir hatten nur die Brücke für sie zu bauen. Sie das Band zu durchschneiden.
    Doch wie sah das in Wahrheit aus? In irgendeinem Winkel der Galaxis waren irgendwann einmal Wesen aufgetaucht, die, als sie die phänomenale Seltenheit von Leben begriffen, beschlossen hatten, in die Kosmogonie einzugreifen und sie zu korrigieren. Die Nachfahren einer alten Zivilisation verfügten über einen Wissensmoloch, der für uns unvorstellbar war, wenn sie einen lebenspendenden Impuls und allerhöchste Nichteinmischung in jeden lokalen Entwicklungsverlauf so sorgfältig miteinander zu verbinden verstanden. Das biophile Signal war nicht »das WORT, das FLEISCH ward«, weil jegliche Angaben darüber fehlten, was entstehen sollte. Das Verfahren war im Grunde genommen einfach, nur daß es über einen Zeitraum wiederholt wurde, der der Ewigkeit gleichkam – es waren sozusagen zwei weit auseinanderliegende feste Ufer, zwischen denen, bereits aus eigener Kraft, der Prozeß der Artenbildung seinen Beginn nehmen sollte. Die Hilfeleistung war die denkbar behutsamste. Keinerlei Detailangaben, keinerlei konkrete Direktiven, keinerlei Instruktionen physikalischer oder chemischer Natur – nichts, außer der »Verstärkung« thermodynamisch unwahrscheinlicher Zustände.
    Der Wahrscheinlichkeitsverstärker war unaussprechlich schwach und wirkte lediglich dadurch, daß er, allgegenwärtig, jedes Hindernis durchdrang und einen Teil der Galaxis erfaßte – vielleicht sogar die ganze? Wir wußten nicht, wieviel solcher unsichtbarer Strahlen sie aussandten. Das war kein einmaliger Akt, sondern etwas, was anhielt und in seiner Dauer mit den Sternen wetteifern konnte, aber zugleich aufhörte, sobald der gewünschte Prozeß einsetzte. Und es hörte auf,

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