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Die Stimme des Herrn.

Die Stimme des Herrn.

Titel: Die Stimme des Herrn. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Sie, wie die Bänder für ein automatisches Klavier, ein Pianola, aussehen?«
    »Gewiß doch. Es sind Bänder mit einer entsprechenden Lochung.«
    »In ein Pianola kann zufällig auch ein Programmstreifen eines Computers passen, und obwohl das Programm nichts, aber auch gar nichts mit Musik zu tun hat – es kann sich auf irgendeine Gleichung fünften Grades beziehen –, wird es, in das Pianola eingelegt, Töne produzieren. Es ist sogar möglich, daß nicht alle auf die Weise produzierten Töne ein komplettes Chaos ergeben, sondern daß da und dort eine musikalische Phrase zu hören ist. Können Sie sich denken, weshalb ich dieses Beispiel anführe?«
    »Ich glaube schon, Sie meinen, der ›Froschlaich‹ sei eine ›musikalische Phrase‹, die entstanden ist, indem man in ein Pianola ein Band eingelegt hat, das eigentlich in einen Computer gehört?«
    »Erraten! Wer den Programmstreifen eines Computers für ein Pianola benutzt, begeht einen Fehler, und es ist durchaus möglich, daß wir eben diesen Fehler als Erfolg angesehen haben.«
    »Aber zwei von Ihren Gruppen haben doch völlig unabhängig voneinander den ›Froschlaich‹ und den ›Herrn der Fliegen‹ hergestellt, und dabei ist es ein und dieselbe Substanz!«
    »Wenn Sie ein Pianola zu Hause haben, und Sie haben noch nie etwas von der Existenz von Computern gehört, und das gleiche trifft auch auf Ihren Nachbarn zu, dann ist es, wenn Sie irgendwo Lochstreifen für einen Computer finden, doch durchaus wahrscheinlich, daß Sie beide das gleiche tun: Sie glauben, der Streifen gehört in ein Pianola, weil Ihnen über andere Möglichkeiten nichts bekannt ist.«
    »Ich verstehe. Das ist sicherlich Ihre Hypothese?«
    »Ganz recht, das ist meine Hypothese.«
    »Sie haben von einem großen Risiko gesprochen. Worin besteht das?«
    »Ein Computerband gegen ein Pianolaband auszutauschen, ist natürlich nicht riskant, es handelt sich um ein ungefährliches Mißverständnis, aber in unserem Falle kann es anders sein, und die Folgen des Irrtums könnten unabsehbar werden.«
    »Wie das?«
    »Ich weiß es nicht. Ich meine einen Irrtum von der Art, daß jemand in einem Kochrezept statt des Wortes ›Saccharin‹ das Wort ›Akonitin‹ liest und eine Soße zubereitet, die alle Gäste ins Jenseits befördert. Bitte vergessen Sie nicht, daß wir getan haben, wozu wir imstande waren, und auf diese Weise unser Wissen, unsere vielleicht vereinfachte, vielleicht falsche Vorstellung, dem Code aufgezwungen haben.«
    McMahon wollte wissen, wie das möglich sei, da die Sache doch so sehr der Entschlüsselung einer Chiffre ähnele. Er hatte den »Herrn der Fliegen« gesehen. Konnte man den Code falsch entschlüsseln und dennoch so erstaunliche Ergebnisse erzielen? Konnte das übertragene Fragment, welches der »Herr der Fliegen« darstellte, ganz und gar falsch sein?
    »Das wäre denkbar«, erwiderte ich. »Wenn wir telegrafisch den Genotyp eines Menschen abschicken und wennder Empfänger auf seiner Grundlage ausschließlich die weißen Blutkörperchen zu synthetisieren vermöchte, hätte er etwas in der Art von Kriechtieren vor sich und eine Menge ungenutzter Information. Man kann nicht behaupten, daß derjenige, der, gestützt auf einen menschlichen Genotyp, Blutkörperchen produziert, das Telegramm richtig entziffert hätte.«
    »So erheblich sind die Unterschiede?«
    »Ja. Wir haben 2 bis 4% der gesamten Codeinformation genutzt, aber das ist noch nicht alles, denn, sagen wir, ein Drittel von diesen wenigen Prozenten kann auch noch bloße Vermutung von uns sein, das, was wir selbst in die Übersetzung eingebracht haben dank unserem stereochemischen, physikalischen und sonstigen Wissen. Bei einer ähnlich niedrigen Entschlüsselungsquote ließen sich aus einem menschlichen Genotyp übrigens nicht einmal Blutkörperchen herstellen, sondern allerhöchstens etwas wie eine tote Eiweißemulsion, weiter nichts. Ich glaube, nebenbei bemerkt, daß gerade solche Experimente mit dem menschlichen Genotyp, der bereits zu etwa siebzig Prozent entschlüsselt ist, für uns außerordentlich instruktiv wären, aber wir können sie uns nicht leisten, weil wir dazu weder die Zeit noch die Mittel haben.«
    Als er mich fragte, wie ich den Entwicklungsunterschied zwischen uns und den Absendern einschätze, sagte ich, aus der Statistik Sebastian von Hoerners und Bracewells ginge zwar hervor, daß die erste Begegnung höchstwahrscheinlich mit einer etwa 12 000 Jahre alten Zivilisation erfolgen werde, aber

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