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Die Stimmen des Flusses

Die Stimmen des Flusses

Titel: Die Stimmen des Flusses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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Hauptgeschäft herankam.
    »Zahlt sich das aus?«
    »Kurz-, mittel- und langfristig. Eine große Sache.« Grinsend sagte er: »Die Große Operation.«
    »Willst du wirklich nicht wissen, ob Oriol dein Vater war?«
    »Nein.Tschüß bis morgen.«
    »Auf Wiedersehen, mein Sohn. Gott verfluche dich.«
    Ihre Augen brannten von der Schlaflosigkeit, als sie sacht die Tür zum Büro des Bürgermeisters schloß und am Tisch Platz nahm. Der Raum roch nach kaltem Zigarettenrauch und Alkoholdunst. Sie trommelte mit den Fingern auf den Tisch, ihr Blick verlor sich in der Ferne wie ihre Gedanken. Sie konnte warten. Ihre Entscheidung war getroffen.
    Keine fünf Minuten später war Valentí Targa da. Er dachte an die Zuckerpuppe, die seit ihrer Ankunft in Torena unausstehlich war. Weiber, warum zum Teufel habe ich sie mir auch ins Haus geholt, man weiß doch, daß sie nichts als Ärger machen. Der Bürgermeister hatte sich hastig einen Mantel übergeworfen; er war unrasiert, und in sein Gesicht stand geschrieben, was willst du, verdammt?
    »Den Lehrer.«
    Valentí Targa setzte sich auf seinen Stuhl, ohne den Mantelauszuziehen. Man sollte ihm ansehen, daß er aus dem Bett geholt worden war.
    »Was ist mit Kamerad Fontelles?«
    »Laß den Dachboden der Schule durchsuchen, dann siehst du, was mit ihm ist.« Elisenda Vilabrú atmete die abgestandene Luft des Büros ein, schob den Stuhl nach vorn und stützte die Arme auf den Tisch, von Haß und Kummer überwältigt.
    »Er hat uns alle getäuscht, und das lasse ich mir von niemandem bieten.«
    »Was redest du denn da?«
    »Bring ihn um.«
    »Aber … Seid ihr beide nicht …«
    »Bring ihn um.«

65
    Der Euromed wurde langsamer, als wollte er den Fahrgästen noch einmal die Möglichkeit geben, die blendende Mittelmeerlandschaft zu bewundern. Dann hielt er zischend, und einige der Türen öffneten sich.Tina stieg aus, und ihr schlug ein Schwall warmer Luft entgegen, die ihr im Zug erspart geblieben war. Dabei war erst März.
    Wie man ihr versichert hatte, beendete die Rentnergruppe die Besichtigung des Kastells von Peníscola pünktlich. Einige hatten Postkarten in der Hand, andere packten den Fotoapparat ein, und alle freuten sich schon auf die Paella, die ihnen für zwei Uhr zugesagt worden war. Sie entdeckte Balansó unter den letzten; er trug ein Postkartenleporello mit verschiedenen Ansichten des Kastells. Er ging schleppend und hatte noch immer seinen schmalen Schnurrbart, der jetzt allerdings weißgrau war, und einen lebhaften Blick, der es einem schwermachte, zu glauben, daß dieser Mann über achtzig war. Als sie ihm sagte, ihr Name sei Tina Bros und sie arbeite an einer Reportage über die Kirchen und Friedhöfe des Pallars und sei überzeugt, daß er ihr helfen könne, merkte sie, daß der Mann wachsam wurde. Er klappte das Leporello zu und sagte: »Sie täuschen sich, Senyoreta.«
    »Andreu Balansó aus Pobla, Gehilfe von Bürgermeister Valentí Targa. Sie waren an fünf Morden beteiligt, die nie vor Gericht gekommen sind.Täusche ich mich?«
    Sie schluckte. Dies war der entscheidende Augenblick: Entweder würde er sie zum Teufel jagen, oder er würde tun, was Balansó jetzt tatsächlich tat: Er erschrak, hatte Angst, sich auf unsicherem Grund zu bewegen, und bot der unbekannten jungen Frau an, sich nach dem Mittagessen mit ihr in einem Café zu treffen. Aber sie fiel nicht darauf herein. Siesagte: »Nach dem Essen steigen Sie alle in den Bus. Ich lade Sie ein, mit mir zusammen zu Mittag zu essen.«
    Sie hakte sich bei ihm ein, als wollte sie einen geliebten Großvater stützen.
    »Die anderen werden mich vermissen.«
    »Sollen sie. Ich passe schon auf, daß Sie rechtzeitig am Bus sind.«
    Statt einer Paella mit Meeresfrüchten aßen sie in einem einsamen Restaurant, fernab vom Einzugsbereich des Kastells, eine Gemüsepaella.Tina log, wie sie es nie zuvor getan hatte, behauptete, ein ehemaliger Kamerad von ihm habe ihr bereits alles erzählt und ihr seinen Namen genannt, und er habe nichts mehr zu fürchten, denn mit der Jahrtausendwende seien alle politischen Verbrechen verjährt. Zum Beweis hielt sie ihm eine Seite des Amtsblattes vor, auf der von Förderungen für Musik, Literatur und bildende Kunst die Rede war.
    »Ich bin Ihnen keinerlei Rechenschaft schuldig.«
    »Doch, denn andernfalls werde ich Sie richtig in den Dreck ziehen, Senyor Balansó.« Lächelnd schluckte sie einen Löffel Paella, die viel zu gut für diese Unterhaltung war. »Bis zum Hals.«
    »Haben Sie

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