Die Stimmen des Flusses
Theresianerordens und wahrhaften Glaubensbringers, den Rom eines Tages seligsprechen und schließlich kanonisieren würde.
»Alles zu seiner Zeit«, entgegnete sie ihrem Onkel schließlich nach langem Schweigen.
»Vorsicht mit dem Arm. Nein, mit der Schulter.«
»Es juckt mich.«
»Gut, dann machen wir fünf Minuten Pause.«
Während des Tees erzählte sie ihm ganz zwanglos – denn nun mußte sie ja nicht reden, da sie nicht verkrampft war –, daß sie den Verwalter gleich nach Ende des Krieges damit beauftragt hatte, sich um das Gut zu kümmern und alles zurückzugewinnen, was man ihr genommen hatte. Von San Sebastián aus war sie mit ihrem Mann zunächst nach Barcelona und dann nach Torena gegangen. Sie berichtete ihm nicht von ihrer Reise nach Burgos, den drei grauen, dunklen, aber notwendigen Tagen, die sie dort verbracht hatte.
»Wir haben uns ein paar Monate in Barcelona erholt, und dann haben wir uns hier oben niedergelassen, um das Gut auf Vordermann zu bringen, aber Santiago hat nur vierzehn Tage in Casa Gravat gelebt. Alles widerte ihn an, er konnteden Viehgestank im Dorf nicht ertragen, und außerdem hatte er Arbeit in Barcelona.«
»Dabei ist das Leben hier so beschaulich.«
Oriol lebte erst seit drei Monaten in Torena, und die Freude, die alles Neue bereitet, hatte sich noch nicht ganz verflüchtigt. Er hatte noch keinen Herbst und keinen Winter, auch keinen Frühlingsanbruch im Dorf erlebt. Deshalb konnte er sich erlauben, sich zu freuen und das Leben im Dorf beschaulich zu finden.
Für sie war das anders. Nachdem sie sich vergewissert hatte, daß mit dem Haus alles in Ordnung war, daß die Verbrecher es nicht durchwühlt hatten, hatte sie lange überlegt, ob sie zurückkommen wolle, und nachdem sie sich dazu entschlossen hatte, hatte sie zunächst Bibiana zum Saubermachen vorgeschickt. Als sie dann mit Santiago eintraf, berichtete ihr Bibiana, was man sich vom neuen Bürgermeister erzählte, dem ältesten Sohn der Familie Roia aus Altron. Er hatte alle Einwohner von Torena an der Ecke Plaza de España und Calle del Caudillo zusammengetrommelt und war in der Falangeuniform aufgetreten, flankiert von fünf weiteren Falangisten, alles Fremde, die mit in die Hüften gestemmten Händen die Rede Valentí Targas verfolgt hatten, der sich jetzt Don Valentín Targa nannte. In schwülstigem Spanisch hatte er verkündet, er sei nach Torena gekommen, um sich an Recht und Gesetz zu halten und dafür zu sorgen, daß sich alle daran hielten, und um das Dorf zu säubern. »Und nicht einmal Gott wird mich von dieser heiligen Mission abbringen, die er selbst und der Caudillo mir aufgetragen haben. Kein Schuldiger wird ungestraft davonkommen, wenn er nicht bereits zuvor bestraft worden ist.« Viele der Dorfbewohner verstanden zwar die Worte nicht, wohl aber den Tonfall. Und weil das, was folgte, besonders wichtig war, fuhr er auf katalanisch fort: »Wer jemanden anzeigen will, der soll zu mir kommen und wird ein offenes Ohr finden. Und wenn irgendein verdammter Republikaner so dumm sein sollte, was dagegen zu sagen, dann kriegt er’s mit mir zu tun,daß er’s sein Lebtag nicht vergessen wird. Das schwöre ich beim Generalísimo.« Und dann brüllte er plötzlich auf spanisch: »Viva Franco, arriba España.« Nur die Uniformierten und die damals noch sehr junge Cecilia Báscones stimmten lauthals ein. Diaphragmalgie. Die anderen dagegen starrten demonstrativ den Berg an, außer den Mitgliedern der Familie Narcís, die verstohlen lächelten, oder den Birulés, die dachten, endlich ist die Ordnung wiederhergestellt, das Chaos ist vorbei, und wir anständigen Leute können uns wieder auf die Straße wagen. Hernia diaphragmatica.
»Ein wenig Ordnung wird Torena nicht schaden, Bibiana.« Bibiana verstand.
»Ich möchte viel draußen malen«, sagte Oriol, während er an die Staffelei zurückkehrte.
»Malst du auch Landschaftsbilder?«
»Ich versuche mich an allem. Ich bin nur ein Amateur.«
Er sah sich die Falten des Kleides näher an und fand einen Fehler am Ellbogen. Und dann erschrak er, denn er hatte den Nardenduft hinter sich verspürt. Noch bevor er sich umdrehen konnte, hörte er ihre sanfte Stimme: »Mag sein, daß du nur ein Amateur bist, aber du machst das wunderbar.«
Oriol wandte sich um. Sie betrachtete aufmerksam die Leinwand.
»Stört es dich, daß ich das Bild ansehe, obwohl es noch nicht fertig ist?«
»Nein«, log er. »Es gehört dir.«
Sie waren nur einen Schritt voneinander entfernt.
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